Christoph Werner inszeniert deutschsprachige Erstaufführung von Joël Pommerats „Ma chambre froide“

You need to install or upgrade Flash Player to view this content, install or upgrade by clicking here.

Kamera: Jana Käsdorf

Was wünscht sich ein unheilbar kranker, wohlhabender Mann kurz vor seinem Ende?
Ein Stück Unsterblichkeit! Nicht etwa die leiblichen Kinder sollen sie ihm gewähren, sondern das Personal eines Supermarktes. Die Idee: Im Tausch für ein Theaterstück über sein Leben, erben die Angestellten das kleine Firmenimperium aus Supermarkt, Rotlicht-Bar, Zementwerk, Schlachthof… Was folgt sind Szenen der Überforderung und des Scheiterns der künftigen Millionäre.

Die Inszenierung von Christoph Werner lebt von Dialogen, die präzise, schnell und immer wieder herrlich launig sind, genauso wie vom reduzierten und abwechslungsreichen Bühnenbild. Das Besondere: Puppen und Puppenspieler sind sich wie aus dem Gesicht geschnitten und spielen im Wechsel. Dieses Wechselspiel verleiht auch den Charakteren ein zweites Gesicht und sorgt obendrein für ein charmantes Spiel zwischen Mensch und Puppe. Das Ergebnis dürfte auch Joël Pommerat, Regisseur und Autor („Ma chambre froide“) überzeugen, nicht nur weil das „Spiel mit den Puppen“ in Frankreich fast unbekannt ist.

Premiere am Freitag, 14.10.2011 im Puppentheater Halle (Saale)


Read more...

Noch eine Woche bis zur Premiere, ich warte vor der Berliner Schaubühne, bis mich die Dramaturgin Irina Szodruch abholt. Ein älterer Mann und seine Frau schieben einen Kinderwagen und fotografieren mit ihren Smartphones den Schriftzug des Theaters, daneben die Affiche für die Inszenierung ihrer Tochter. Stolze Eltern und Großeltern. Ihre Tochter ist beiden gleichermaßen aus dem Gesicht geschnitten: Yael Ronen, die Autorin und Regisseurin aus Tel Aviv, wird drinnen auf der Bühne gleich den Durchlauf von „The Day Before the Last Day“ ansagen. Ihr Vater, Ilan Ronen, ist der künstlerische Direktor des Habima National Theatre und selbst erfolgreicher Regisseur. Ilan, 1948 geboren, gehört zur zweiten Generation der Holocaust-Überlebenden, deren „Dritte Generation“ Titel und Thema vorgab für Yael Ronens letzte Arbeit zwischen Berlin und Tel Aviv. Die Geschichten waren nahe an den persönlichen Geschichten der Schauspieler dran: Israeli, Palästinenser, Deutsche. Der Humor geriet schwarz, man ging mit offenem Visier auf die eigenen Biografien los, hat Verletztlichkeit in Kauf genommen und gerade darin eine postmoderne Zärtlichkeit gefunden. Die Perspektive war klar die eigene, jene der jeweils Dritten Generation.

Niels Bormann

In „The Day Before The Last Day“ ist es, wie man auf Facebook den offenen Beziehungsstatus umschreibt, kompliziert. Denn es geht um Religion. Um die Rolle, welche sie im Nahen Osten spielt. Und spielen wird: Die Demografen in Israel sagen voraus, dass in zwanzig Jahren mehr als die Hälfte der jüdischen, christlichen und muslimischen Bürger stark religiös leben werden. Das säkulare Modell kippt. Obwohl wir in Westeuropa eine andere Vorstellung von der Trennung von Kirche und Staat haben, wie Yael Ronen kurz vor dem Durchlauf im Gespräch betont. „Es gibt dramatische Unterschiede zwischen dem säkularen Begriff in Israel und jenem in Deutschland. Selbst die weltlich ausgerichteten Israeli sind der Tradition verbunden, während in Deutschland Leute aus meinem Milieu Probleme haben würden, ihren Kirchgang zuzugeben. In Israel ist es noch immer das größere Problem, die Existenz Gottes anzuzweifeln.“ Wir reden Englisch, das Gerät läuft,  die Zeit ist knapp, die Antworten auf den Punkt. Kein Projektgelaber, keine schaunwamas.
Read more...

Paul Paul Koek probt Tschechow am Bochumer Schauspielhaus, Foto Diana Küster

Der Raum dampft. 14  Schauspieler haben schon eine Stunde Körpertraining hinter sich. Sie tragen Kostüme, die ans 19. Jahrhundert erinnern, Anzüge, hoch geschlossene Kleider. Es ist heiß, sie sitzen an einem langen Tisch. Die Probe beginnt ruhig. Regisseur Paul Koek hält eine CD in den Händen. Er ist barfuß, trägt eine kurze Hose und ein Fußball-T-Shirt. Wir sollen uns im Raum verteilen, sitzen, stellen, legen und Musik hören. Industrialklänge des holländischen Komponisten Jan Boerman. „Versucht, den Kopf zu leeren“, sagt Paul Koek. „Denkt an nichts oder nur an die Musik.“ Das ist gar nicht so einfach, das Stück dauert fast eine halbe Stunde, und es schleichen sich gleich Bilder in den Kopf. Seltsamerweise denke ich an die Industriedenkmäler des Ruhrgebietes, aber so verschieden werden sie nicht sein von den Inspirationsquellen Jan Boermans. Ich gehe im Geiste nachts durch die Kokerei Zollverein, stehe allein in der Bochumer Jahrhunderthalle. Die Musik hört auf. Alle erheben sich und gehen direkt an die Arbeit. Es wird nicht reflektiert oder diskutiert. Was aus diesem Musikinput entsteht, bleibt jedem selbst überlassen.
Read more...

16.07.      von Bernhard Stengele

Ich schlafe nicht gut, bleibe, obwohl ich so weit weg bin, gestresst. Natürlich frage ich mich manchmal, warum ich das eigentlich mache. Warum nicht einfach schön Faust oder Shakespeare oder meinetwegen Dea Loher inszenieren, warum nicht Austausch mit England, Frankreich, Amerika. Manches wäre einfacher, künstlerisch absehbarer.

Die Antwort ist ganz individuell. Es ist ein Versuch einer Antwort: diese Arbeit hinterfragt mein Künstlertum vollständig, hinterfragt mein Leben.  Ich bin nicht hier, weil ich der große Zampano bin, der mit viel Kohle anrückt und deshalb zum Guru mutiert (eine ebenfalls denkbare Version, auf die ich mich immer wieder prüfe), ich glaube auch nicht, dass ich weiter, klüger oder mutiger bin oder jemandem was beibringen kann.

Ich habe mich nie ganz wohl gefühlt in der Mitte der Gesellschaft, im Bildungsbürgertum. In der Premierensektnetzwerkgesprächsrunde (ob sich da überhaupt jemand wohl fühlt?). Ich war aber auch nie wütend auf das Bildungsbürgertum, wie Kinski oder sonst wer. Ich bin kein Kunstmissionar, wie der durchaus von mir bewunderte Christof Schlingensief (auch wenn sein Operndorf wirklich Mist ist und alle die da Geld reinstecken, sentimentale Gläubige. Wer mehr wissen will, gerne!).  Theater war und ist für  mich  ein extrem offener  Zugang zur Welt, eine Möglichkeit konkret zu erleben, zu sehen und wiederzugeben. Ein Hinschauen, das über das Denken, über das Interpretieren hinausgeht. Die Bedeutung des Wortes Schauspieler kommt nicht von Show sondern von der (Innen) Schau des Lebens. Damit kann ich reisen und Erfahrungen machen.

Wir machen uns ständig Bilder und Konzepte und am Ende, das ist die größte Gefahr, glauben wir daran und reproduzieren unsere Konzepte.

Keiner weiß, wie es mit Griechenland geht, keiner.  Aber keiner gibt es zu.

Die Banker dilettieren mit dem Wohlstand der Welt herum, dass man glauben könnte, sie würden ein Praktikum machen, aber keiner gibt es zu.

Keiner weiß bei uns wer Gaddhafi  ist. (Er ist jedenfalls hier in Westafrika enorm wichtig und die Bomben von namentlich Sarkozy erzeugen  eine Mordswut). Keiner weiß, wer die Afrikaner sind. Und wenn Agamben von nacktem Leben spricht, theoretisiert er hoch klug. Wer daraus eine Handlungsanweisung ableiten will, handelt aber strohdumm.

Die Postkolonialisten verfolgen ein durch und durch europäisches Konzept und drängen– wieder einmal -  anderen ihr Denken auf.

Deshalb misstraue ich den Büchern und den Gedanken, sie sind Helfer, aber haben immer  Eigeninteresse. Denn es gab nicht einen Gedanken, nicht einen Menschen, der außerhalb des Systems stand, selbst Buddha, selbst Einstein räumte das ein.

Was hat das mit Funerailles du desert zu tun?

Alles. Denn es ist ein Versuch gemeinsam zu arbeiten, gemeinsam zu entdecken. Das Gewicht liegt auf gemeinsam und Versuch. Was immer er an Ergebnis bringt, er wird die Welt nicht schlechter machen, die Ausbeutung nicht erhöhen, die Erkenntnisse nicht vernebeln. Er wird nicht Wissen behaupten, wo Erlebnis ist und nicht System, wo Menschen sind. Das interessiert mich und nicht, ob die Postdramatik in ihrem ganzen Reiz die einzig mögliche, die auch mögliche oder gar nicht mögliche Antwort auf Beuys und Verbotene Liebe ist.

Zum guten Schluß dieses kleinen Ausbruchs zurück in mein Erleben: ich habe zwei Tage lang Vitamintabletten statt Malariaprophylaxe genommen. Zuerst erschrocken, dann sehr gelacht.

14.07.    von Bernhard Stengele

Eigentlich wollte ich über die heutigen Ereignisse wie gewohnt schreiben, habe aber jetzt beschlossen mich auf ein Thema zu beschränken, weil es so symptomatisch, weil es so nachdenkenswert ist. Bei der morgendlichen Probe stellte ich irgendwann die Frage nach der Beschneidung von Frauen und ob das nicht ein Thema sein sollte in unserem Stück. Die Reaktion auf meine Frage war ein merkwürdiges, fast betretenes Schweigen. Ich lachte und fragte, was denn los sein. Langsam entspann sich eine immer lebendiger werdende Diskussion darüber, dass das Thema eigentlich so breit getreten wäre, dass es niemand mehr hören wolle. Des weiteren gab es ein breites und erstaunliches Verständnis für die Bescheidung bei Frauen. Bitte recht verstehen, es gab Niemanden der sagte, man solle das weiterführen. Im Gegenteil, es war absolut glaubhaft, dass alle Anwesenden die Beschneidung für ein Übel hielten, aber es wurden soziale, religiöse und traditionelle Betrachtungsweisen in die Diskussion eingebracht. Es wurden verschiedenene für mich extrem gruselige Techniken beschrieben, die ich nicht wiederholen möchte. Jede Ethnie hat ihre eigenen Begründungen und Rituale. Die Frauen waren bei der Diskussion stiller als die Männer. Ich war wirklich insgesamt sehr überrascht, blieb aber bei „beobachten, nicht bewerten“. Irgendwann machte ich klar, dass es in unserer Gesellschaft, wie bei mir persönlich kein Verständnis für diese grausame Tradition gibt. Wir diskutierten auch meine These, dass dieses Gottesspiel nichts anderes ist, als die Angst und die Enttäuschung der Männer darüber, dass die Kraft ihres Penis nicht so alleinstehend glückbringend ist , wie sie es gerne hätten und sie deshalb ein so verabscheungswürdiges Unterdrückungsmittel einsetzen. Diese These wurde unterstützt durch die Aussage, dass eine nicht beschnittene Frau, so die traditionelle Erklärung, untreu und schmutzig leben wird, während eine beschnittene Frau treu bleibt . Ouelgo Tené
So kamen wir auf Inquisition, auf die Unterdrückungsmechnismen in der europäischen Gesellschaft. Dennoch blieb die Diskussion merkwürdig verhalten.
Am Abend traf ich eine Bekannte, die ich zufällig vor 2 Jahren kennengelernt hatte, eine Burkinabe, die in einer NGO arbeitet, und ich erzählte ihr davon. Auch sie blieb still und ich fragte nach. Da wurde sie wütend und sagte, sie habe es satt, dass man zwar durch die Aufklärungskampagnen viele Frauen vor der Beschneidung beschützen würde, die beschnitten Frauen aber einer grausamen Betrachtung aussetze. Denn es würde überall behauptet, beschnittene Frauen wären traumatisiert, wären frigide und eigentlich seelische Wracks. Und mit wütender Stimme erzählte sie mir, sie wäre selbst beschnitten und durchaus in der Lage, ihr Leben zu meistern, sie fühle sich nicht traumatisiert, sie hätte ihrer mitleidig reagierenden Cousine gesagt, sie solle ihr mal den Mann leihen und ihn dann fragen, ob sie Sex zu genießen wisse. Sie hätte diese Beschneidung als selbstverständlich erlebt, das Ritual bei ihrer Ethnie wäre nicht grausam, es tat nicht mal sehr weh. Sie wolle damit aber keinesfalls die Beschneidung verteidigen. Sie persönlich aber habe keine Lust mehr darauf, ständig beweisen zu müssen, dass sie eine vollständige, glückliche Frau sei und kein armseliges Leben führe. J’en ai marre, sagte sie , ich habe die Schnauze voll. Jaqueline Kini
Jetzt war ich still. Wir redeten von anderen Dingen und tranken in Ruhe und friedlich unser Bier aus. Und ich denke daran, wie gefährlich es sein kann, nicht zu bedenken, wie selbstsüchtig, wie sensationslüstern und herablassend Mitleid sein kann. Beobachten, beobachte, beobachten, nachdenken, nachdenken, nachdenken…
Die beiden Fotos zeigen unsere Schauspielerin Jaqueline Kini und unseren Schauspieler Ouelgo Tené

Older Posts Newer Posts