Paul Paul Koek probt Tschechow am Bochumer Schauspielhaus, Foto Diana Küster

Der Raum dampft. 14  Schauspieler haben schon eine Stunde Körpertraining hinter sich. Sie tragen Kostüme, die ans 19. Jahrhundert erinnern, Anzüge, hoch geschlossene Kleider. Es ist heiß, sie sitzen an einem langen Tisch. Die Probe beginnt ruhig. Regisseur Paul Koek hält eine CD in den Händen. Er ist barfuß, trägt eine kurze Hose und ein Fußball-T-Shirt. Wir sollen uns im Raum verteilen, sitzen, stellen, legen und Musik hören. Industrialklänge des holländischen Komponisten Jan Boerman. „Versucht, den Kopf zu leeren“, sagt Paul Koek. „Denkt an nichts oder nur an die Musik.“ Das ist gar nicht so einfach, das Stück dauert fast eine halbe Stunde, und es schleichen sich gleich Bilder in den Kopf. Seltsamerweise denke ich an die Industriedenkmäler des Ruhrgebietes, aber so verschieden werden sie nicht sein von den Inspirationsquellen Jan Boermans. Ich gehe im Geiste nachts durch die Kokerei Zollverein, stehe allein in der Bochumer Jahrhunderthalle. Die Musik hört auf. Alle erheben sich und gehen direkt an die Arbeit. Es wird nicht reflektiert oder diskutiert. Was aus diesem Musikinput entsteht, bleibt jedem selbst überlassen.

Zwei Etagen eines Wohnhauses und ein halber Keller sind auf der Probebühne aufgebaut, vorne offen wie ein Puppenhaus. Später kommt noch ein Stockwerk drauf, wenn es nach der Sommerpause ins große Schauspielhaus geht.  In einem ähnlichen Bühnenbild hat Jan Bosse vor einigen Jahren „Anna Karenina“ inszeniert, einen anderen großen russischen Stoff des 19. Jahrhunderts. Diesmal findet die gesamte Probenphase in Bochum statt. Als das Schauspielhaus mit der Veenfabriek aus Leiden vor einem Jahr „Candide“ nach Voltaire inszenierte, schwärmte das Ensemble von gemeinsamen Badetagen am Strand. In der Entspannung zwischen den Proben habe sich viel in den Köpfen bewegt. Doch diesmal sind keine holländischen Schauspieler dabei. Es soll aber ein paar Beachproben im Bochumer Freibad geben. Das klingt nach Freizeit, ist aber Teil des Arbeitsprozesses. Weil es die Köpfe frei macht, wie die Musik Jan Boermans am Beginn der Probe.

Die Suche nach musikalischen Strukturen

Die Schauspieler springen in den ersten Akt. Obwohl die Premiere erst am 6. Oktober sein wird, haben alle ihre Texte gelernt, sind mit voller Energie bei der Sache. Alle Etagen werden bespielt, oben wuselt Bruder Andrej herum und wirkt leicht verwirrt, als er nach unten gerufen wird. Dann hoppelt er diensteifrig die Treppen rauf und runter, ohne zu wissen, warum eigentlich. Plötzlich steht Natalja vor dem Haus, seine baldige Ehefrau, mit einem geschmacklos bunten Jäckchen über dem gelben Kleid. Und man sieht schon in diesem frühen Stadium, dass sie dazu gehören will, als Außenseiterin behandelt wird, Verletzungen ertragen muss. Auf den ersten Blick wirkt die Bühne einer dieser hyperrealistischen Theaterinstallationen von Alvis Hermanis. Doch die Spielweise ist schon erkennbar anders. Paul Koek und die Schauspieler suchen nach musikalischen Strukturen, um das Stück zu gliedern. Um die heraus zu finden, stellen sie sich erst einmal dem kompletten Text, nicht einer zuvor erarbeiteten Strichfassung. Eine aufwändige Arbeitsweise, die so wohl nur am Beginn einer Spielzeit möglich ist, wenn die Schauspieler noch nicht jeden Abend andere Stücke spielen müssen. Im September wartet noch eine Menge Arbeit auf Paul Koek und die Bochumer. Doch man spürt, dass die Schauspieler Lust darauf haben, dem Regisseur vertrauen, sich mit ganzer Kraft in die Proben werfen.

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