Noch eine Woche bis zur Premiere, ich warte vor der Berliner Schaubühne, bis mich die Dramaturgin Irina Szodruch abholt. Ein älterer Mann und seine Frau schieben einen Kinderwagen und fotografieren mit ihren Smartphones den Schriftzug des Theaters, daneben die Affiche für die Inszenierung ihrer Tochter. Stolze Eltern und Großeltern. Ihre Tochter ist beiden gleichermaßen aus dem Gesicht geschnitten: Yael Ronen, die Autorin und Regisseurin aus Tel Aviv, wird drinnen auf der Bühne gleich den Durchlauf von „The Day Before the Last Day“ ansagen. Ihr Vater, Ilan Ronen, ist der künstlerische Direktor des Habima National Theatre und selbst erfolgreicher Regisseur. Ilan, 1948 geboren, gehört zur zweiten Generation der Holocaust-Überlebenden, deren „Dritte Generation“ Titel und Thema vorgab für Yael Ronens letzte Arbeit zwischen Berlin und Tel Aviv. Die Geschichten waren nahe an den persönlichen Geschichten der Schauspieler dran: Israeli, Palästinenser, Deutsche. Der Humor geriet schwarz, man ging mit offenem Visier auf die eigenen Biografien los, hat Verletztlichkeit in Kauf genommen und gerade darin eine postmoderne Zärtlichkeit gefunden. Die Perspektive war klar die eigene, jene der jeweils Dritten Generation.

Niels Bormann

In „The Day Before The Last Day“ ist es, wie man auf Facebook den offenen Beziehungsstatus umschreibt, kompliziert. Denn es geht um Religion. Um die Rolle, welche sie im Nahen Osten spielt. Und spielen wird: Die Demografen in Israel sagen voraus, dass in zwanzig Jahren mehr als die Hälfte der jüdischen, christlichen und muslimischen Bürger stark religiös leben werden. Das säkulare Modell kippt. Obwohl wir in Westeuropa eine andere Vorstellung von der Trennung von Kirche und Staat haben, wie Yael Ronen kurz vor dem Durchlauf im Gespräch betont. „Es gibt dramatische Unterschiede zwischen dem säkularen Begriff in Israel und jenem in Deutschland. Selbst die weltlich ausgerichteten Israeli sind der Tradition verbunden, während in Deutschland Leute aus meinem Milieu Probleme haben würden, ihren Kirchgang zuzugeben. In Israel ist es noch immer das größere Problem, die Existenz Gottes anzuzweifeln.“ Wir reden Englisch, das Gerät läuft,  die Zeit ist knapp, die Antworten auf den Punkt. Kein Projektgelaber, keine schaunwamas.
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Hallo, ich bin der neue Pfadfinder, vulgo Wanderlust-Blogger, und beginne meine guten Taten mit „The Day Before the Last Day“. Das ist eine Koproduktion zwischen der Berliner Schaubühne und dem Habima National Theatre in Tel Aviv, Premiere ist am 1. September in Berlin. Es geht um die Rolle, die orthodoxe Religionsauffassungen im Nahen Osten spielen und in Zukunft noch viel stärker spielen werden. Wenn der Text und mein erster Leseeindruck nicht täuschen, wird es eine inhaltlich unversöhnliche, spielerisch aber hoffnungsvolle und ästhetisch offene, überdrehte, lustige Inszenierung werden. Die Welt ist schlecht, aber so lange wir noch miteinander darüber reden können, rettet uns der harte Humor. Doch dazu später. Ich fange ja gerade erst an.

Weil die israelische Regisseurin Yael Ronen und ihre jüdischen, arabischen und deutschen Schauspieler den Prozess ihrer Arbeit im Produkt meistens sichtbar, ja kunstfähig machen wollen, spiegle ich hier versuchsweise Ronens Arbeitsweise in meiner eigenen: Auch der Prozess der Annäherung soll kritikfähig werden. Nicht weil ich denke, dass eine Beschreibung, eine Kritik oder irgendein journalistisches Stück die Form dem Beschriebenen abschauen muss. Sondern weil wir, die Pfadfinder, experimentieren sollen. Ich möchte keine digitale Kopie von Printjournalismus simulieren, das entspräche weder dem Wesen dieses Blogs noch dem Umstand, dass sowohl die Künstler wie die Pfadfinder von derselben Instanz getragen werden, der Kulturstiftung des Bundes nämlich. Indes: Die Thematisierung der Pfadfinderei hat für den Moment auch mit den Hürden zu tun, die jedes Experiment aufstellt, das den Namen verdient. Auch dieses.


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