Die Generalprobe am Samstag sei super gewesen, berichtet Andrea Koschwitz, die Dramaturgin. Die öffentliche Probe tags davor indessen etwas schwierig. Milan Peschel, der Regisseur, habe im Parkett gesessen und immer wieder auf die Bühne hochgerufen, und das vor Publikum! „Schneller, lauter, konkreter!“ Dieses Rätsel einer deutschen Regieanweisung wird im Krakauer Stary Teatr sicher auf Jahre hinaus zum geflügelten Wort. Und zum Beginn von etwas Neuem? Dazu gleich mehr.

Noch ist es der Nachmittag vor der Premiere von „Sein oder Nichtsein“, von „Byċ albo nie byċ“ in Krakau, noch wird mit Andrea Koschwitz über den Marktplatz geschlendert, den Rynek Głowny, den Hauptmarkt, in strahlendem Sonnenschein, auf der Suche nach einem geeigneten Kaffeehaus. Da, Auftritt von rechts, kommen zufällig auch der Regisseur und die Bühnenbildnerin ins Bild, Milan Peschel und seine Frau Magdalena Musiał, auf dem Weg ins Theater vermutlich, Peschel sieht zerknittert aus und murmelt etwas von zuviel Brandy am Vorabend, Magdalena Musiał lacht freundlich. Die deutsch-polnische Kooperation ist bei diesem Leitungsteam schon lange Familie geworden, hier in Krakau aber zum ersten Mal auch gemeinsam künstlerisch produktiv.

"Sein oder Nichtsein" von Nick Whitby nach Ernst Lubitsch, Regie: Milan Peschel, Bühne: Magdalena Musiał. Błażej Peszek als Grünberg.

Die gestrige Generalprobe war „Milans Premiere“, sagt die Dramaturgin etwas später bei Kaffee und Eis. Die heutige Vorstellung schaue er sich nicht an, „das hält er gar nicht aus“. Andrea Koschwitz ist seit zehn Tagen in Krakau. Davor hat sie jeden Tag telefoniert, mit Katrin Müller, der Dramaturgieassistentin, die das deutsche Regiebuch geführt hat, und mit Milan Peschel. Nur zweieinhalb Wochen nach der Premiere im Stary Teatr wird am 14. April die gleiche Inszenierung in deutscher Besetzung am Berliner Maxim Gorki Theater herauskommen. Als Übernahme und Übermalung natürlich, aber doch so, dass später einzelne Schauspieler ausgetauscht werden können. Ein polnischer Gestapo-Mann in Berlin, eine deutsche Maria Tura in Polen…

Schauspieler im Widerstand

Die Gorki-Schauspieler sind zu den Endproben und zur Premiere nach Krakau gekommen. Ronald Kukulies und Sabine Waibel, die die Turas spielen werden, Wilhelm Eilers, der deutsche Silewski („Schileffski“ wie man in Polen sagt). Und Hans Löw vom Deutschen Theater Berlin, der den Fliegeroffizier Sobiński spielen wird, den Verehrer der Theater-Diva Maria Tura, der jedes Mal, wenn deren ebenfalls schauspielernder Gatte im Warschauer Polski Theater auf der Bühne als Hamlet den „Sein oder Nichtsein“-Monolog anstimmt, aus dem Publikum aufsteht und nach hinten in Marias Garderobe geht… Um Sein oder Nichtsein geht es nach dem Einmarsch der Deutschen buchstäblich und als der Gestapo-Spion Silewski nach Warschau kommt, im Gepäck eine Liste von Adressen, die er den polnischen Fliegern in England entlockt hat, umso dringlicher. Die Schauspieler gehen in den Widerstand.

Anna Radwan-Gancarczyk als Maria Tura und Andrzej Rozmus als Sturmführer Schulz.

In Deutschland muss man die Handlung nicht erzählen. In Krakau indessen ist der Film von Ernst Lubitsch, auf dessen Theaterfassung Nick Whitby die Rechte hält, nicht so bekannt. Da erkennt man die Running Gags nicht immer schon von weitem. Und manche lachen nicht einmal dann, wenn die Witze direkt vor ihnen stehen. Nicht in Krakau, der Stadt, zu der das jüdische Viertel Kazimierz gehört, mit der ehemaligen Emaille-Fabrik von Oskar Schindler auf der anderen Seite der Wisła (die die deutschen Schauspieler gemeinsam besucht haben), nicht hier, eine knappe Autostunde von Auschwitz.

Mit Shakespeare und Tarrantino

Milan Peschel ist keineswegs mit einem reinen Komödienkonzept nach Krakau gekommen. Andrea Koschwitz hat einige Passagen aus „Hamlet“ integriert – „in der Müller-Übersetzung natürlich“. Nicht nur den Anfang, sondern den ganzen „Sein oder Nichtsein“-Monolog, die Zeilen, in denen es um den Marsch der Norweger auf Polen geht, Sätze aus der Totengräber-Szene. Dazu einige Filmzitate, aus „Inglorious Basterds“ von Tarrantino zum Beispiel, die Stelle, an der Brad Pitt alias Aldo Raine seiner jüdischen Rachetruppe einschärft, Nazi-Skalps zu erbeuten. Ja. Schon richtig, Tura. Aber wie?

Die Fassung endet nicht mit der Verwirrungsszene bei der Hitler-Gala und mit der Flucht nach England, sondern davor und ratlos. „Was sollen wir tun?“ fragen sich die Schauspieler am Ende in ihrem Versteck, als sie zwar ihren eigenen Hintern für den Moment, aber noch lange nicht Polen gerettet haben. Und dann fällt, gegen 22 Uhr am Sonntagabend, im Stary Teatr der rote Samtvorhang, der den Bühnenraum rückwärtig verkleidet hatte, zu Boden, die anderen Darsteller und die Bühnenarbeiter schauen von hinten ebenfalls ins Publikum und verharren so lange bis Applaus kommt.

Kein tosender, und es sind auch nicht mehr alle Plätze besetzt im polnischen Nationaltheater in der Szczepańska Ecke Jagiellońska, wo das im Jugendstil umgebaute Theater bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts steht. Auch das schmerzverzerrte Gesicht des inzwischen stark hinkenden Juliusz Chrząstowski, der sich in der Rolle des Sobiński schon zu Anfang der Vorstellung den Fuss verletzt hat, schlägt auf die Stimmung. Aber es wird natürlich geklatscht und später wird kolportiert, dass es gerade jüngeren Leuten absolut gefallen habe.

“Schneller, lauter, konkreter!”

Das Herumgebülle in vielen Szenen, die motorische Energie, die der Schauspieler-Gastregisseur dem Ensemble implantiert hat, als hätte er oft selbst vorgespielt bei den Proben, die plötzlich einsetzende laute Musik, etwa Eric Burdens „Good times“, die fragmentarische Ausstattung mit klapprigen Kulissen, die den permanenten Slapstick herausfordert, die unplugged-Momente im Spiel, die dynamischen Gruppenposen, die akkurat gezeichnet sind wie für einen Comic – dieser ganze wundervoll peschelige Volksbühnen-plus-Volksstück-Remix eben ist hier in Krakau etwas Neues, obwohl schon viele, auch deutsche Gäste, hier gearbeitet haben, Gorki-Intendant Armin Petras etwa vor einigen Jahren.

Adam Nawojczyk und Anna Radwan-Gancarczyk. Alle Probenfotos: Ryszard Kornecki

„Es war nicht einfach“, erzählt Anka Graczyk, die Krakauer Regieassistentin der Produktion, die in Wien Schauspiel studiert hat und die Proben auch übersetzte. Mit der Ansage „schneller, lauter, konkreter“ hätten die Schauspieler zunächst nichts anfangen können. Aber sie wären unglaublich offen und neugierig gewesen und hätten unentwegt ausprobiert und sich dabei immer weiter vorgewagt. Mit Gewinn. Die Schrei-Verordnung ist ja keine Hilflosigkeit, sondern ein Ablenkungsmanöver für die Stimme, damit der Körper anfangen kann zu sprechen. Tatsächlich kann man sich das Pescheltheater auch ohne Stimme und mit Untertitel vorstellen. Alles liegt im Körper, ohne Tanz zu sein. Theatraler Stummfilm, so etwas vielleicht.

Abgrundpanisch und rhythmisch zugleich

Das Thema „Spielweise“ ist so präsent an diesem Premierentag, als ob die Halbzeit-Bilanz dieser polnisch-deutschen Kooperation darin bestehen könnte, dass die Berliner ein Thema gesetzt und einen Schauspielstil exportiert haben, während die Krakauer zeigen konnten, dass sie allem gewachsen sind und außerdem die schönere Stadt bewohnen. Ist das so? Nehmen die deutschen Schauspieler aus der Premiere dieser Inszenierung, die sie sich jetzt anzueignen haben, nur Rollenanlagen und Gänge mit, oder doch mehr?

Die Szene bei der Gestapo etwa, in der Tura in der Verkleidung des ermordeten Silewski mit der Leiche desselben konfrontiert und einen Moment alleingelassen wird. Kann Ronald Kukulies da in Berlin so um das Leben seiner Figur tanzen wie Adam Nawojczyk aus dem Krakauer Ensemble? Wird, angetrieben von einem ungarischen Tanz von Brahms, auch er in dieser halszuschnürenden Weise beginnen zu zucken und ein Bein hochzureißen, als hielte ihm einer Feuer unter die Sohle? Einen so abgrundpanischen, zugleich aber rhythmischen Tanz vollführen und in dieser Bewegung den Toten rasieren und ihm, ihn zum Schwindler machend, den falschen Bart ankleben – die Rettungsfinte? Diese Szene ist, so kommt es einem vor, eine sehr polnische. Mal sehen, was mit ihr passiert.

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