posted by Stefan Keim
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Über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren schrieb Stefan Keim für den Wanderlust Blog. Er reiste zu Proben und Premieren, führte Interviews mit den Beteiligten und schrieb über die Wanderlust-Produktionen in all ihren Facetten. In seinem letzten Beitrag für den Blog beschäftigt er sich mit dem Humor zwischen den Nationen und welche Rolle er in der internationalen Theaterarbeit spielen kann.
Wir danken Stefan Keim noch einmal ganz herzlich für sein Engagement und die vielen spannenden Beiträge.


Humor in Wanderlust-Aufführungen

In Berlin sollen sich alle wie Bolle amüsiert haben über Milan Peschels Inszenierung von „Sein oder Nichtsein“. Der Adaption des berühmten Films von Ernst Lubitsch über eine Schauspielertruppe, die 1939 im besetzten Warschau um ihr Leben spielt. Ich sehe die Aufführung in Krakau, neu einstudiert mit dem Ensemble des Stary Teatr. Es ist die letzte Vorstellung, die Schauspieler können was, das merke ich trotz der Fremdsprache. Oder gerade deswegen, denn so richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Mimik, die Spannung, die Spielenergie. Die Darsteller gratwandeln virtuos zwischen Slapstick und Grauen, haben diese immer wieder begeisternde Mischung aus Gedankenraserei und Körpercomic aufgesogen, die oft als „Volksbühnenästhetik“ bezeichnet wird. Anfangs lache ich oft. Als einziger. Die Polen schauen schweigend zu, eine Zuschauermauer, distanziert, kühl. Bald lache ich nicht mehr. Und schäme mich fast. Eine deutsche Spaßbacke, die in direkter Nachbarschaft zu Auschwitz über den Holocaust lacht. Gut, dass mich in Krakau keiner kennt!

Humor beruht auf Vereinbarungen, auf dechiffrierbaren Zeichensystemen. Außenseiter haben da verloren. Denn wenn man einen Witz erklären muss, zerstört man ihn. Wie haben sich die polnischen Schauspieler in „Sein oder Nichtsein“ gefühlt? Gehörten sie nach den Proben zum System Peschel und wunderten sich über ihre verständnislosen Landsleute? Oder haben sie das Ding einfach durchgezogen, weil sie Profis sind, und die Köpfe eingezogen, wenn sie Stammbesuchern begegneten? Gut, Milan Peschel hat die Aufführung nicht nur auf Gags gebürstet. Stark ist sein Ende, wenn die Schauspieler in Ratlosigkeit verharren. Dennoch funktioniert die Komödie in Krakau nicht. Kein bisschen. Und ich erinnere mich an andere Projekte, die ich in meiner Zeit als Wanderlust-Scout gesehen habe. Gelacht wurde oft. Aber wer lachte eigentlich worüber?
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Die Generalprobe am Samstag sei super gewesen, berichtet Andrea Koschwitz, die Dramaturgin. Die öffentliche Probe tags davor indessen etwas schwierig. Milan Peschel, der Regisseur, habe im Parkett gesessen und immer wieder auf die Bühne hochgerufen, und das vor Publikum! „Schneller, lauter, konkreter!“ Dieses Rätsel einer deutschen Regieanweisung wird im Krakauer Stary Teatr sicher auf Jahre hinaus zum geflügelten Wort. Und zum Beginn von etwas Neuem? Dazu gleich mehr.

Noch ist es der Nachmittag vor der Premiere von „Sein oder Nichtsein“, von „Byċ albo nie byċ“ in Krakau, noch wird mit Andrea Koschwitz über den Marktplatz geschlendert, den Rynek Głowny, den Hauptmarkt, in strahlendem Sonnenschein, auf der Suche nach einem geeigneten Kaffeehaus. Da, Auftritt von rechts, kommen zufällig auch der Regisseur und die Bühnenbildnerin ins Bild, Milan Peschel und seine Frau Magdalena Musiał, auf dem Weg ins Theater vermutlich, Peschel sieht zerknittert aus und murmelt etwas von zuviel Brandy am Vorabend, Magdalena Musiał lacht freundlich. Die deutsch-polnische Kooperation ist bei diesem Leitungsteam schon lange Familie geworden, hier in Krakau aber zum ersten Mal auch gemeinsam künstlerisch produktiv.

"Sein oder Nichtsein" von Nick Whitby nach Ernst Lubitsch, Regie: Milan Peschel, Bühne: Magdalena Musiał. Błażej Peszek als Grünberg.


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Treffen mit Andrea Koschwitz, der Chefdramaturgin des Berliner Maxim Gorki Theaters in ihrem Büro an der Dorotheenstraße. Es ist Montag, 15 Uhr, der Tag nach dem ersten (Wochenend-)Treffen mit den polnischen Kollegen. Sie beginnt auch ohne Frage, sobald das Band angestellt ist, sofort vom Projekt zu erzählen.

Foto: Thomas Aurin

Andrea Koschwitz:
Was wir 529 km mit Zukunft genannt haben, ist ja ein dreiteiliges Projekt. Da waren zunächst die Gastspiele, die sowohl von den Stoffen als auch von den Spielweisen her sehr interessant waren: Die Krakauer brachten mit dem “Brotladen” Brecht zurück nach Berlin, und dann gab es noch eine Inszenierung von “Warten auf den Türken” von Andrzej Stasiuk. Wir hingegen fuhren mit Fritz Katers “heaven (zu tristan)” hin und zeigten auch “Amphitryon” von Kleist, was sich die Krakauer sehr gewünscht haben.

Beim zweiten Teil, dem Inszenierungsprojekt, war der Prozess schon etwas schwieriger. Das Maxim Gorki Theater und das Stary Teatr sind beides Theater, die intensiv am Repertoire arbeiten, wobei die Krakauer ihre Produktionen in Blöcken zeigen, während bei uns jeden Abend etwas anderes auf dem Spielplan steht. Eine gemeinsame Inszenierung zu machen, mit Schauspielern aus dem eigenen und dem Partnertheater, wie es viele aus dem Wanderlust Fonds geförderten Theater machen, kam für uns also nicht in Frage. Denn in beiden Häusern war klar, dass aus der gemeinsamen Arbeit ein Stück entstehen sollte, das jeweils ins Repertoire geht. Und zwar ein Stück für die große Bühne, kein Werkstattstück.
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