Treffen mit Andrea Koschwitz, der Chefdramaturgin des Berliner Maxim Gorki Theaters in ihrem Büro an der Dorotheenstraße. Es ist Montag, 15 Uhr, der Tag nach dem ersten (Wochenend-)Treffen mit den polnischen Kollegen. Sie beginnt auch ohne Frage, sobald das Band angestellt ist, sofort vom Projekt zu erzählen.

Foto: Thomas Aurin

Andrea Koschwitz:
Was wir 529 km mit Zukunft genannt haben, ist ja ein dreiteiliges Projekt. Da waren zunächst die Gastspiele, die sowohl von den Stoffen als auch von den Spielweisen her sehr interessant waren: Die Krakauer brachten mit dem “Brotladen” Brecht zurück nach Berlin, und dann gab es noch eine Inszenierung von “Warten auf den Türken” von Andrzej Stasiuk. Wir hingegen fuhren mit Fritz Katers “heaven (zu tristan)” hin und zeigten auch “Amphitryon” von Kleist, was sich die Krakauer sehr gewünscht haben.

Beim zweiten Teil, dem Inszenierungsprojekt, war der Prozess schon etwas schwieriger. Das Maxim Gorki Theater und das Stary Teatr sind beides Theater, die intensiv am Repertoire arbeiten, wobei die Krakauer ihre Produktionen in Blöcken zeigen, während bei uns jeden Abend etwas anderes auf dem Spielplan steht. Eine gemeinsame Inszenierung zu machen, mit Schauspielern aus dem eigenen und dem Partnertheater, wie es viele aus dem Wanderlust Fonds geförderten Theater machen, kam für uns also nicht in Frage. Denn in beiden Häusern war klar, dass aus der gemeinsamen Arbeit ein Stück entstehen sollte, das jeweils ins Repertoire geht. Und zwar ein Stück für die große Bühne, kein Werkstattstück.

Und da dachte ich mir, dass wir ja vielleicht über ein gemeinsames Thema etwas finden könnten, und habe in einer der allerersten Sitzungen, das war 2007, vorgeschlagen: Warum nicht so etwas wie den Film “Sein oder Nicht-Sein” von Ernst Lubitsch. Da geht es um Deutsche und Polen, um den Einmarsch der Deutschen in Polen, hollywoodartig aufgearbeitet natürlich, aber eben um einen Stoff, der beide betrifft. Und trotz meiner Formulierung “so etwas wie”, haben wir uns alle sehr schnell auf genau dieses Stück geeinigt.

Wie erklärst du dir das?

Zum einen ist es natürlich spannend, sich mit der gemeinsamen Geschichte zu befassen. Wie sehen wir die Polen, wie diese uns, was ist mit dem polnischen Widerstand, wie hat Lubitsch ihn dargestellt, wie war er wirklich? Zum anderen ist es eine Komödie, mit klasse Rollen und darüber hinaus eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Berufsstand. Wie verhalten sich Schauspieler unter bestimmten Umständen? Was kann Theater? Wie widerständig kann es in einer Gesellschaft sein? Damit wollen sich jetzt beide Häuser befassen.

Es entstehen also zwei Produktionen des gleichen Stoffes, die aber beide Milan Peschel inszeniert. Er inszeniert in Polen mit dem polnischen Ensemble und in Deutschland mit dem deutschen Ensemble. Was heißt, dass er definitiv derjenige ist, der die meisten Erfahrungen macht.

Ja, er wird die meisten Erfahrungen machen. Wobei wir über den Stoff auf ihn gekommen sind. Er ist ein Spezialist für das Komödiantische, hat in der Familie, über seine Frau, polnische Wurzeln und spricht auch etwas Polnisch. Und er bringt eine – von der Volksbühne geprägte – Ästhetik mit, die für die polnischen Schauspieler sehr spannend ist. Am letzten Wochenende, als wir unser erstes gemeinsames Treffen hatten, waren wir auch in “Nach Moskau! Nach Moskau” von Frank Castorf nach Tschechow, wo Milan Peschel ja selbst spielt, und da entspann sich hinterher sofort eine Diskussion über Spielweisen.

Was habt ihr am letzten Wochenende noch gemacht?

Wir haben uns hier mit den Tätern befasst. Wir waren im “Haus der Wannseekonferenz” und in der Ausstellung “Hitler und die Deutschen” im Zeughaus. Und wir haben natürlich den Lubitsch-Film gemeinsam angesehen. Denn, was völlig überraschend für uns war, ist, dass dieser Film in Polen kaum bekannt ist. Für Krakau ist dieser Stoff ein Experiment. Das wurde nie gespielt, wenn überhaupt im Kino gezeigt, dann selten, im Fernsehen vielleicht mal nachts um zwei. Von den sieben Schauspielern hatten fünf den Film noch nie gesehen!

Wie sind jetzt die Produktionsabläufe?

Milan Peschel wird ab Mitte Februar mit den Krakauer Schauspielern arbeiten, und die Premiere dort wird am 27. März stattfinden, dem Welttheatertag. Wir fahren kurz vorher mit dem deutschen Ensemble hin, damit sie die Endproben mitbekommen und die Inszenierung wirklich kennen, und mit diesen Schauspielern wird er dann in drei Wochen, bis Mitte April, diese Inszenierung “okkupieren” (lacht). Die Bühne ist die gleiche, die Textfassung ist die gleiche, aber die Rollen werden natürlich aus deutscher Sicht weiterentwickelt.

Wird man hier in Berlin beide Fassungen sehen können?

So ein Gastspiel ist ja nicht billig. Aber es gibt ja noch den dritten Teil des Projekts, den Performance-Zug, und da wird Mitte Juni in Krakau die polnische Fassung gespielt, und danach kann man sich in den Zug setzen, der von deutschen und polnischen Künstlern bespielt und mit kleinen Inszenierungen versehen wird, und am nächsten Abend kann man in Berlin in die deutsche Fassung gehen. Ansonsten bleibt jede Produktion in der eigenen Stadt, das aber dauerhaft. Wobei wir schon einmal daran gedacht haben, vielleicht die Schauspieler einer Rolle einmal auszutauschen, aber ob das geht, muss man sehen, wenn die Arbeit fertig ist.

Nochmal zurück zum Kennenlernen am letzten Wochenende. Welche Beobachtungen hast du beim gemeinsamen Filmgucken gemacht?

Zunächst die, dass die Gags auf beiden Seiten gleich gut funktionieren. Es gab aber auch einen älteren Schauspieler, Andrzej Kozak, der hinterher gesagt hat. “Das ist ein blöder Film. Aber es ist gut, dass wir ihn machen.” Und es stellte sich heraus, dass sein Onkel Flieger in der englischen Armee war und dabei gewesen war, als am 8. Mai 1945 Berchtesgaden bombardiert wurde! Der fand, dass die Flieger nicht richtig dargestellt sind, was man im Theater natürlich anders akzentuieren kann. Sowieso will Milan Peschel dem Film ja nicht hinterherlaufen. Uns interessiert die polnische Sicht sehr ernsthaft, und insofern ist es gut, dass die erste Premiere die in Polen ist.

Interview: Petra Kohse

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