19.12.
Bin schon ein bisschen erschöpft, als Kontil und Ouelgo mich um 11.00 abholen. Wir fahren auf’s Dorf, ungefaehr 40 min ausserhalb von Ouaga. Herrlich durch die stille Stadt mit dem Moped zu brausen, keine Verkehrsregeln, jeder faehrt, wie er will,das vollstaendige Chaos, und es ist so einfach, kein rechts vor links oder so, man schaut und faehrt. Es gibt keinerlei Aggression, es macht Spass, jedenfalls mir, der ich damals mit 14 Jahren mit dem V8 Opel meines Vaters mit 200 ueber die B18 schoss. Entspannt im Dorf angekommen. wir hoeren die klaeglichen Schreie von Ziegen, die geschlachtet werden, Huehner unsd Schweine rennen herum und Kinder. Die Kinder gucken neugierig, der Rest ist fuer den Grill freigegeben. Wir setzen uns unter einen Baum, ich trinke Wasser, dann besichtigen wir das Essen, meine Kollegen entscheiden sich fuer Schwein, das liegt kross gebraten auf einem grossen Blech, das auf dem Feuer liegt, es schmeckt sehr gut, ich esse auch Leber. Dazu trinken wir Bier.

von Anne Paffenholz, Dramaturgin & Theaterpädagogin

Tour Guides at the Border Control: Borderlines-Werkstatt-Präsentation am West Yorkshire Playhouse in Leeds (April 2010)
Da man ja am Jahresende gerne dazu neigt, das zu Ende gehende Jahr in Rückblicken Revue passieren zu lassen, hier eine Rückblende auf’’s vergangene Frühjahr:
Im April dieses Jahres bin ich mit zehn Jugendlichen (zwischen 16 und 20 Jahren) nach Leeds gefahren. Vor uns lag die zweite Borderlines-Werkstattwoche mit den gleichaltrigen Jugendlichen aus Leeds. Im Oktober 2009 hatten wir schon eine Woche zur Berliner Mauer gearbeitet. Diesmal sollte die Grenzrecherche auf weitere Aspekte (persönliche, soziale, kulturelle Grenzen) ausgedehnt werden.
Mindestens zwei Teilnehmer machen ihre Grenz-Erfahrungen im wahrsten Sinne des Wortes bereits vor bzw. während der Reise: Ein Jugendlicher fliegt das erste Mal und ist erstaunt, wie aufwendig die Abfertigung und die Sicherheitskontrollen sind. Die Schere in seinem Handgepäck wird zwar gefunden, aber er darf sie erstaunlicherweise trotzdem mitnehmen (wir brauchen sie später, um den eingeschweißten Kuchen im Lunchpaket aus der Plastikverpackung zu lösen). Eine andere Teilnehmerin wusste bis einige Tage vor dem Abflug nicht, ob sie dabei sein kann oder nicht: Sie braucht ein Visum. Das trifft am letzten möglichen Tag endlich ein – nach vielen Telefonaten, einem Termin in der britischen Botschaft, der Beantwortung von 97 Fragen, der Bezahlung einer beträchtlichen Gebühr und Vorlage der Verdienstbescheinigung der Eltern über die letzten drei Monate. Bei der Ankunft am Flughafen Liverpool muss sie sich am Schild “UK Border” (das man leider nicht fotografieren darf) in die Schlange “nicht-EU-Staatsangehörigkeit” stellen. Als Einzige muss sie ihre Fingerabdrücke und Informationen über ihren Aufenthaltsort in England hinterlassen – und die Buchungsbestätigung für den Rückflug vorzeigen.

von Christoph Nix aus Malawi
Afrika ist nicht Afrika und Togo ist nicht Malawi. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Land überhaupt seine Theaterkultur unterstützt oder nicht: Malawi tut es und Togo schweigt still. Die Armut scheint hier erträglicher, selbst für uns, die wir doch stets in geschützten Räumen sind: auf dem Dorf war beides eine Fröhlichkeit beim Tanz der trommelnden Männer und eine bitterarme Tristesse am Morgen und wenn die Sonne um 6 Uhr untergeht. Wir können hier mit so wenig so viel bewegen; einem kleinen Mädchen, dem dauernd der völlig zerschlissenen Rock aufging, hat Nadja Keller ein Klämmerchen an den Rock gemacht und das Kind war glücklich; es ist immer zu wenig, was man nach Afrika mitbringt, als ich Kulis und Fußbälle verteilte, habe ich wenige fröhlich gemacht und sonst nur neue Ungleichheiten geschaffen. Ich bin dankbar hier zu sein und würde mich freuen, wenn auch meine Mitarbeiter aus dem Theater, die nach Malawi reisen, etwas daraus machen: nachhaltiges Mitgefühl heißt eben auch praktische Solidarität; was das heißt muss jeder für sich rausfinden, es gibt genug zu tun: Crossing Borders heißt auch zu schätzen, dass man einfach in den Bodensee springen kann, wenn die Wassertemperatur danach ist; hier heißt es, obwohl der See genau so sauber und grün und voller blauer, gelber violetter Fische, eine Bilharziose zu bekommen, und die macht blind oder gelähmt. Morgen beginnt der Workshop von Frau Keller und mir: forumtheatre, administration and god governance … wir werden sehen.

Eine Delegation aus Konstanz ist seit dem 23. Oktober 2010 zum Gegenbesuch im afrikanischen Blantyre: im Rahmen der Theaterpartnerschaft mit dem malawischen Theater Nanzikambe Arts wird dort der 2. Workshop mit den malawischen Kollegen statt finden. Mit dabei Regisseur Clemens Bechtel, der in unserem Blog berichtet:
“ankunft….ab ins auto, eine halbe stunde spaeter in ner schicken villa. draussen krault im swimming pool jemand seine bahnen, wir lunchen schick mit dem goethe institut, sprechen ueber malawi, die probleme der kulturvermittlung und nippen dazu an unserer cola local cut irgendwo auf der strasse, aus unserem auto heraus reichen wir die halbvollen styroporteile mit huehnchen und fritten an die kiddies, die uns schon 20 minuten mit ihrer bettelei auf die nerven gehen, was eine geste, die jungs ziehen sich mit den fritten zurueck, der mann im pool krault wahrscheinlich immer noch, wir fahren weiter cut bruder claude von mua mission versucht die traditionelle kultur aufrechtzuerhalten, dreissig leute tanzen fuer uns in tierfellen, anfangs macht mich das beklommen, nach 2 stunden gaehne ich unterdrueckt cut ich sitze mit den kollegen zusammen und diskutiere ueber den sinn und den unsinn von politischem theater. sind wir die clowns? Sollen wir kraulende menschen inszenieren, kinder mit geschenkten fritten oder doch tanzende menschen in tierfellen? hat theater mit moral zu tun? muss der kraulende mann sich schaemen, muessen wir uns schaemen oder etwa die kinder mit den fritten? was haben wir zu erzaehlen auf dem theater hier und in konstanz? was hat diese welt mit uns zu tun? geht es ums aendern oder ums beschreiben? koennen wir dem naeherkommen oder nicht? oder doch? draussen plaetschern die wellen…von see zu see…ich freu mich aufs theater machen.” (Clemens Bechtel)
http://theaterinmalawi.suedblog.de/

Die Sonne flirrt. Die Luft ist warm. Es riecht nach Pinien und Thymian. Vom Chateau aus sieht man Toulon und das Mittelmeer. Wir sind für 5 Tage in Chateauvallon, einem Festivalzentrum für Theater und Tanz in Südfrankreich. Hier erfinden und probieren Joёl Pommerat und seine Compagnie Louis Brouillard ihr neues Stück, dessen deutschsprachige Erstaufführung wir mit Puppen aufführen werden. Auf kreisrunder Bühne wird viel und lange improvisiert. Manchmal spielen acht Schauspieler miteinander. Es fällt auf, wie genau sie ihre Figuren bereits kennen. Joёl schaut lange zu, verändert eine der Grundbedingungen, lässt weiterspielen und schaut wieder zu. Jeweils am nächsten Morgen zieht er sich an den Schreibtisch zurück, am Nachmittag werden die Texte verteilt und auf der Bühne überprüft. Die Geschichte wächst, wuchert in vielen Einzelsträngen, Figuren fordern Rechte ein. Würde man versuchen, Ma chambre froide zum jetzigen Zeitpunkt nachzuerzählen, so erinnerte das Stück eher an einen Roman, den Balzac und Dostojewski gemeinsam schreiben. Üppiger Reichtum! Glückliche Fülle! Schöpfen aus dem Vollen! Unsere Puppenspieler und die französischen Schauspieler stehen gemeinsam auf der Bühne. Babylonische Sprachverwirrung bringt hier Klarheit: Ein Gemisch aus Französisch, Englisch, Deutsch und Spanisch wird zur Sprache auf der Bühne. Untersucht wird, was Puppen und Schauspieler auf der Bühne darstellen können. Wo sind die Stärken? Wo die Schwächen? Welche Wirkungen ergeben sich durch das Zusammenspiel? Nach ein paar Probenstunden ist klar, dass Puppen auch in der französischen Fassung eine Rolle spielen werden. Nun geben die Puppenspieler den französischen Kollegen einen Crash-Kurs im Puppenspiel. Wie bei unseren Zusammenkünften in Halle und Wiesbaden stellen wir fest: Diese beiden Theater haben ein großes Interesse aneinander. Eine Neugier aufeinander. Mit Respekt schaut man dem Partner über die Schulter und stürzt sich ins gemeinsame Spiel!
Skadi Konietzka und Ralf Meyer

