Es ist ein Sonntagabend, Berlusconi hat seinen Rücktritt erklärt, der „Polizeiruf 110“ mit einer sehr schwangeren Kommissarin ist gerade vorbei. Und als ich auf dem Weg zum Bahnhof Würzburg in eine leere Kneipe schaue, steht da auch schon Günter Jauch und leitet betroffen eine Runde über rechten Terror ein, während die Republik vor dem Schirm langsam wegdämmert. Ich bin zweihundert Schritte vom Mainfranken Theater entfernt, wo das Publikum wahrscheinlich noch immer steht und jubelt. Die Premiere von „Les funérailles du désert“ ist schon einen Monat her, aber der große Saal war annähernd voll. Max de Nil, mit 61 Jahren wohl ältestes Ensemblemitglied, deklamiert kurz vor Schluss: „Wir sind alle aus Afrika“, die acht Schauspieler vom C.I.T.O.-Theater in Ouagadougou in Burkina Faso und die sieben deutschen gehen in ein afrikanisches Lied über. Blende. Cut. Begeisterung. Was ist hier geschehen?

Es gibt, unmittelbar danach, zwei Erklärungen. Zum einen, nennen wir das Kind beim Namen: Kitsch. Jedes Musical und immerhin die Hälfte des Kanons der deutschen Klassik kennt Kitschmomente. Faust, Kabale und Liebe, Käthchen. Wir haben mehr als zwei Stunden interkulturelles Theater gesehen, eine Begegnung zwischen Würzburg und Ouagadougu. Und das war mehr oder weniger auch das Thema dieser 140 Minuten. Zum andern: Vielleicht war das mehr Komödie, als man zuerst dachte, und die Komödie ist die Gattung, die vom Gelingen ausgeht. Zwar endet eine der größten Tragödiendichtungen aller Zeiten ebenso versöhnlich, aber die „Orestie“ von Aischylos zeigt in den zwei ersten der insgesamt drei Teile derart viel Gewalt, dass es am Ende ohne Vergessen nicht geht. Gut, man muss auf dem Boden eines ICE bleiben: Dieses Stück hat nichts mit Goethe, Schiller, Kleist und auch nichts mit Aischylos zu tun, was seine Literarizität angeht. Aber im Kern geht es um, wenn man möchte, Gewaltvermeidung.   Die kulturelle Differenz – Wirtschaft, Wetter, Politik – ist selbst in diesem auf Austausch ausgerichteten Theaterprojekt so unüberwindbar, dass man gar nicht anders kann, als nach Ähnlichkeiten zu suchen. Zumindest in einem ersten Schritt, bei einer ersten künstlerischen Begegnung. Der Abend will die Nestwärme im Fremden finden, also Angst abbauen. Kann sein, dass diese Erklärung selbst Kitsch ist.
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Von Kai Tuchmann

Während unseres letzten Aufenthaltes in Ouagadougou besuchten wir das Nationalmuseum von Burkina Faso.

Zur Institution des Museums in Deutschland

Die Alte Nationalgalerie in Berlin wurde 1876 feierlich eingeweiht, um durch das Sammeln von Kunstwerken einen Beitrag zur Etablierung eines deutschen Nationalbewusstseins zu leisten. In goldener Schrift steht dementsprechend über dem Eingang der Nationalgalerie die Widmung: “Der deutschen Kunst”. Als der zweite Direktor der Alten Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, begann, Kunst aus dem Land des Erzrivalen Frankreich zu sammeln, da er in der Auseinandersetzung mit der französischen Kunst die Möglichkeit sah die deutsche Kunst zu fördern, löste dies intensive Diskussionen und die Verärgerung des Kaisers aus .
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Am Vormittag treffe ich mich mit Martin Zongo, dem Leiter des C.I.T.O.. Wir gehen den Kooperationsvertrag in allen Einzelheiten noch einmal durch und füllen die noch fehlenden Felder aus. Leider gibt es, als wir das Dokument dann endlich ausdrucken wollen, den üblichen Stromausfall. Schon seit dem Morgen kam es immer wieder zu Störungen und jetzt gegen Mittag sieht es nicht so aus, als ob sich daran schnell wieder etwas ändern würde.

Ich schiebe also das Abschiedsessen, zu dem ich Rachelle Ouedraogo, Ouelgo Tene und Kontil ins Café ONU eingeladen habe, dazwischen und hoffe, dass ich danach den fertigen Vertrag abholen kann. So ist es auch: nachdem ich zum letzten Mal bei dieser Reise Tô mit Sauce gegessen und Bissap getrunken habe (wie die anderen auch), ist der Strom wieder da. Rachelle fährt mich auf ihrer Mobylette zum C.I.T.O. und dort ist dann eines der wichtigsten Ziele der Reise erreicht: Martin Zongo unterzeichnet den Kooperationsvertrag. Wir schütteln einander medienreif die Hände, auch wenn keine Journalisten mit ihren Kameras bereits stehen und sind sehr zufrieden. Das versichern wir uns wiederholt – auch als Hilfe, um den Abschied nicht allzu schwer zu machen. Alle bedauern, dass ich nicht länger bleiben kann, nicht einmal bis zur Premiere am morgigen Abend. Auch mir tut es leid – es gäbe noch so viel zu tun und zu erleben. Gut, dass wir wieder kommen, auch wenn es zu unserem nächsten Aufenhalt im Dezember noch eine sehr lange Zeit ist. Wir nehmen herzlich von einander Abschied und beschwören geradezu mit Worten einen positiven Fortgang unseres Projektes, von dem wir alle überzeugt sind.

Dann bringen mich Ouelgo und Rachelle ins Hotel, wo wir zusammensitzen bis es Zeit ist, zum Flughafen zu fahren. Auch dorthin übernehmen die beiden netterweise den Transport. Auch Kontil kommt noch zum Flughafen und gemeinsam nehmen wir noch ein letztes Abschiedsgetränk in der Hitze Ouagadougous (42°), bevor ich nach einem herzlichen und schmerzlichen Abschied ins Flugzeug steige, das mich via Niamey (Niger, das nun nach dem Putsch wieder angeflogen wird) ins noch winterlich kalte Paris bringt.

Der 8. März ist Weltfrauentag. Hier in Burkina Faso ist das ein Tag, der gefeiert wird. Die meisten Frauen tragen eigens dafür angefertigte Kleider in allen möglichen Schnitten. Nur der Stoff ist immer gleich: er ist blau, gelb oder orange gemustert mit Plaketten, die die eine Frau zeigen, die das ABC an eine Tafel schreibt, mit der Aufschrift „Femmes Alphabetisation et education non formelle“. Vereinzelt gibt es auch Männer, die Hemden aus diesem Stoff tragen.

Alles steht heute im Zeichen der Frau. Abends gibt es im Centre Culturel Francais ein Konzert der burkinischen Frauenband „Les Sirenes du Burkina“, das ich nach einem Gespräch mit dem Leiter des hiesigen Goethe-Instituts, Peter Stepan, besuche. Anschließend treffe ich mich mit Freunden, um das Nachtleben in Ouagadougou kennen zu lernen – ein wesentlicher Bestandteil des Lebens hier, wie man mir sagt. Und da es bei meinen Recherchen ja darum geht, das Alltagsleben der Menschen in Ouagadougou kennen zu lernen, sitze ich zu späterer Stunde in einem am heutigen Festtag überfüllten Maquis und tanze noch später in einer nicht weniger gefüllten Disco Dancing Bar. Ouaga, ca bouge.

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