Die ursprüngliche Idee sei ja gewesen, „Sporttheater“ zu machen, sagt der polnische Regisseur und Schauspieler Cezary Morawski auf deutsch und verzieht das Gesicht. „Sporttheater! Aber da habe ich gesagt, dann reise ich sofort wieder ab.“ Heike Schmidt, die Chefdramaturgin der Schauspielsparte der Uckermärkischen Bühnen Schwedt, lächelt unerschrocken und korrigiert: „Theatersport. Ja, wirklich, wir wollten nach ‘Frau Luna’ mit dem polnischen Partnerensemble Workshops durchführen und dann gemeinsam Theatersport machen – Improvisationstheater.“ Aber Morawski wollte nicht. Und da hätten sie sich gefragt: „Was dann?“

Flieg, Maikäfer, flieg!

Heike Schmidt und Cezary Morawski sitzen im Foyer des Intimen Theaters, einer von mehreren Bühnen im Mehrzweckbau der Uckermärkischen Bühnen Schwedt. Soeben hatte Pommerland ist abgebrannt Premiere, das Stück, das sie, da es mit dem Theatersport nichts wurde, gemeinsam geschrieben haben. „Leć biedronko, leć!“ (Flieg, Maikäfer, eigentlich: Marienkäfer, flieg!) – eine deutsch-polnische Kopoduktion mit zwei Darstellern aus dem Schwedter Ensemble, (Uwe Heinrich und Uwe Schmiedel) einer in Deutschland geborenen polnischen Theaterstudentin aus Warschau (Justyna Bielecka) und sechs Sängern und Tänzern aus dem Chor und Ballett der Opera na Zamku Szczecin. Bühne und Kostüme stammen von Anke Fischer aus Schwedt, Regie führte Morawski, ein gebürtiger Stettiner und in Polen ein Fernsehstar.

Pommerland ist abgebrannt, Szenenfoto: Udo Krause

Pommerland ist abgebrannt, Szenenfoto: Udo Krause

Bruderkrieg mit authentischem Kern

Es geht um Jan und Arthur Kranzow, zwei Brüder, die 1939 auf verschiedenen Seiten in den Krieg ziehen, weil sie Deutsch-Polen sind, polnische Deutsche, deren Gut in der Nähe von Poznań liegt, von Posen, das in der Geschichte immer mal wieder deutsch war und dann wieder polnisch.

Jan: Ich empfinde deutsch./ Arthur: Was unterscheidet das von polnisch? Macht man Liebe auf deutsch anders?/ Jan: Der Führer…/ Arthur: Dein Führer ist Österreicher!/ Jan: Jetzt nicht mehr./ Arthur: Das ist es ja! Es kommt zum Krieg!/ Jan: Deutschland wird ihn gewinnen./ Arthur: Wenn du dich da mal nicht irrst./ Jan: Ich werde im modernsten Tanker der Welt sitzen – und du rasselst mit dem Säbel auf deinem Gaul.

Die Geschichte hat einen authentischen Kern. Die zwei Brüder gab es wirklich, sie waren zwei von vieren und lebten auf Schloss Krockow, im heutigen Krokowa, etwa 50 Kilometer westlich von Gdańsk an der Ostseeküste. Morawski erfuhr während eines Urlaubs dort von den herrschaftlichen Geschwistern, die in feindliche Armeen eintraten und spann weiter, was mit ihnen geschehen sein konnte. “Zu nah an der wirklichen Geschichte durfte es nicht sein”, sagt er. “Der jüngste Bruder der beiden lebt noch.”

Was das Wort “Heimat” bedeutet

Im Stück gehen Jan, dem „Deutschen“ im Ghetto Łódz die Augen auf. Er trifft auf seine jüdische Schulkameradin Hannah, verliebt sich in sie, desertiert und flieht mit ihr. Arthur indessen beteuert in einen deutschen Gewehrlauf hinein sein Deutschtum und wechselt die Seiten. Er trifft Jan und Hannah auf deren Flucht nach Westen, geht selbst in sowjetische Kriegsgefangenschaft, kehrt rechtzeitig zurück, um seinen Bruder und die Schwägerin vor der sozialistischen Landreform zu warnen, und das Trio geht über die grüne Grenze. Jan wird gefasst, kommt nach Hohenschönhausen und danach ins Petrolchemische Kombinat nach Schwedt. Im Westen indessen halten ihn Bruder und Schwägerin für tot und heiraten einander. 1981 erst treffen sie sich wieder. In Szczecin. Jan hatte Hannah in einer West-Radiosendung gehört, wo sie gefragt wurde, was für sie, eine polnische Jüdin und Ex-DDR-Deutsche das Wort „Heimat“ bedeute und ihr geschrieben…

Am Ende besuchen die Brüder als alte Männer wieder ihr Gut. Hannah hat beide verlassen und sich erst der Solidarność-Bewegung angeschlossen, später ist sie nach Israel ausgewandert. Sie haben die Asche der Mutter mitgebracht, und die Geister der Geschichte tanzen um sie herum.“Auf die Heimat!“ ruft Jan am Ende, und Arthur konkretisiert: „Auf die Freiheit, eine Heimat zu wählen!“

Another Brick in the Wall

Da ist viel drin, in diesem pommerschen Grenzlandstück. Eigentlich so ungefähr alles und unmissverständlich formuliert. „Manches liest sich vielleicht platt“, sagt Heike Schmidt. „Aber Cesary gelingt es, mit den Ebenen des Gesanges und des Tanzes alles ineinander zu verschachteln und zu verdichten.“ In jedem Fall kann man sagen, dass die revuehafte Aufführung in Schwedt sehr gut angekommen ist. „Hervorragendes Stück und brillant inszeniert“, sagt ein Besucher beim Verlassen des Saales, und im überwiegend älteren Publikum sieht man während der Vorstellung viele lächelnde Gesichter. Etwa wenn sich die Darsteller bei ihrer Wanderung durch 50 Jahre politische Geschichte immer wieder auch auf popkulturelle Marksteine stützen wie Pink Floyds “Another Brick in the Wall” (dazu reichen sich Chor und Ballett roboterhaft Steine weiter) oder Genreszenen in Slow Motion zelebriert werden.

Einige Sätze sind auf polnisch zu hören, der Großteil des Textes aber ist deutsch. Auf einem Textband soll der ganze Text jedoch bei allen Vorstellungen in die jeweils andere Sprache übersetzt werden, nicht nur bei denen in Szczecin, sondern auch schon in Schwedt. Pünktlich zur Premiere ist das Band aber kaputt gegangen. Und das, wo sich für die zweite Vorstellung am (heutigen) Sonntag 50 Gäste aus dem benachbarten Chojna angesagt haben und auch ein Publikumsgespräch anberaumt ist. „Gar nicht gut, gar nicht gut“, sorgte sich Heike Schmidt vor der Premiere. Über Nacht und am Wochenende ließ sich kein Ersatz schaffen. Wobei: Dass die Besucher aus dem polnischen Grenzland mit Deutschkenntnissen überraschen, ist vielleicht nicht ausgeschlossen.

Kulturhauptstadt Szczecin 2016!

Als nächstes wird „Pommerland ist abgebrannt“ in der Opera na Zamku gezeigt, weitere Vorstellungen in Schwedt waren vor der Premiere nicht vorgesehen. In seiner Dankes- und Lobesrede jedoch (die Morawski seinem Ensemble charmant und nur scheinbar beschämt ins Polnische übersetzte), versprach Intendant Reinhard Simon, die Inszenierung zurück nach Schwedt zu holen und dort im Spielplan zu behalten. Die Website gibt es bereits in polnischer Fassung, und eine nächste Kooperation mit Szczecin, mit dem Teatr Współczesny, einem Haus der klassischen Moderne, ist schon in Vorbereitung. „Wir unterstützen auch die Bewerbung von Szczecin als Kulturhauptstadt 2016“ erklärt Heike Schmidt. „Das wäre einfach wunderbar, wenn das klappte.“

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