Das Mannheimer Jugendtheater Schnawwl bringt in “Das Lied von Rama” einen indischen Mythos auf die Bühne

Das Lied von Rama © Staatstheater Mannheim / Schnawwl

15 lange Stoffbahnen begrenzen den Raum, sind mit dem Teppichboden verwoben. Niemand darf dieses Bühnenbild mit Schuhen betreten. An den Seiten der Spielfläche sitzen Musiker. Die Sitar kennt man vielleicht noch, die anderen Instrumente sind schon spezieller. Esraj, Dilruba, verschiedene Trommeln und Schlagzeuge. Die Musiker schaffen einen fernöstlichen  Klangraum  für die deutschsprachige Erstaufführung “Das Lied von Rama”, einer Bearbeitung des neben dem “Mahabharata” wichtigsten Epos der indischen Literatur. Aber die Musiker stammen nicht aus Indien, die große Koproduktion des Mannheimer Jugendtheaters Schnawwl mit der indischen Bühne Ranga Shankara aus Bangalore kommt erst im weiteren Verlauf der Spielzeit. Die übrigens ganz unter dem Motto “Fremde Freunde” steht.

Vielleicht ist es auch gut so, dass in diesem Fall das Mannheimer Ensemble weitgehend unter sich ist. Erstmal ist das Stück des Norwegers Tor Age Bringsvaerd, der vor allem als Science-Fiction-Autor bekannt ist, schon an sich ein umfangreiches und kompliziertes Ding. Die fünf Schauspieler  – das gesamte Schnawwl-Ensemble – müssen über 40 Rollen spielen. Und die Inder  haben sehr genaue Vorstellungen, wie dieser für ihre Kultur so bedeutende Stoff auf der Bühne umzusetzen sei. “Die Farben haben dort bestimmte Bedeutungen”, erläutert die Kostümdesignerin Eva Roos. “Bei mir trägt zum Beispiel Ramas Familie blau. In Indien ist das die Farbe der Götter.” Die Aufführung ist jedoch für ein deutsches Publikum gedacht, ein Gastspiel ist bisher nicht geplant. Deshalb hat sie die Vorschläge einer indischen Delegation  nicht umgesetzt. Die Kommunikation war nicht immer leicht. Nicht nur wegen der Sprachbarriere. Als Eva Roos in einen Laden ging, um Schmuck für Ramas Gattin Sita auszusuchen, schlug die indische Kollegin ziemlich kitschige Sachen im Bollywoodstil vor. Obwohl sie eigentlich das indische Kommerzkino mit seinen opulent-überladenen Herzschmerzmusicals nicht mag. Aber sie dachte, das entspräche den Erwartungen der Deutschen. Als Eva Roos darauf hinwies, dass sie die Ausstattung deutlich reduzierter anlegen wolle, erhielt sie die Antwort, das sei doch eher Mogulstil. Die Inder fühlten sich erinnert an persische Kultur, die ihnen aufgezwungen wurde, als  islamische Armeen das Land im 12. Jahrhundert eroberten. An solchen Details, die im Gespräch plötzlich grundlegend werden, spürt man schon, dass da verschiedene Kulturen und Traditionen aufeinander prallen.

Poesie und Grips

Andererseits scheint das indische Jugendtheater Anregungen von außen geradezu aufzusaugen. Nicole Libnow, die stellvertretende Leiterin des Schnawwl, erzählt von einer – damals vom Goethe-Institut finanzierten – Gastspielreise vor vier Jahren. “Wir waren überrascht, dass die indischen Aufführungen, die wir sehen konnten, alle denen des Berliner Grips-Theaters ähnelten.” Das lag daran, dass dieses Theater einige Jahre zuvor in Indien gastiert hatte. “Unser Anspruch, Kunst für Kinder zu machen, ein poetisches Erzähltheater, war eine große Überraschung für die Inder.”  Die ruhigere Ästhetik könnte als eine Art “Kulturschock” aufgenommen werden. “In Indien wird ja man von all den Farben und Geräuschen erschlagen”, erzählt Nicole Libnow, “da herscht eine permanente Reizüberflutung.”

Im Ensemble des Schnawwl war damals ein indischer Schauspieler. Vom Theater in Bangalore wurde er gleich engagiert, um das Stück “Robinson & Crusoe”, das die Mannheimer dort gezeigt hatten, neu zu inszenieren. Die indischen Theatermacher sind zwar kritisch in den Einzelheiten, saugen ästhetische Anregungen aber auch gierig auf. Möglicherweise verändert der durch den Wanderlust-Fonds intensivierte Kontakt mit dem Schnawwl die Jugendtheaterszene in Indien noch einmal grundlegend.

Flugaffe gegen Dämon

“Das Lied von Rama” ist eine wilde Fantasystory aus mythischen Zeiten. Gott Vishnu wird als Mensch wieder geboren. Er heißt nun Rama, ist der erstgeborene Sohn eines Königs,  und seine Aufgabe besteht darin, einen zehnköpfigen, fast unbesiegbaren Dämon zu töten, dem nur Menschen und Affen gefährlich werden können. Rama verliebt sich in Sita, wird durch Intrigen aus seinem Land vertrieben. Der Dämon entführt Sita, und Rama nimmt mit Hilfe eines flugfähigen Affengottes den Kampf auf. Wenn die Schauspieler Götter und Dämonen spielen, setzen sie eindrucksvolle Masken auf, die Eva Roos entworfen hat. Die große Herausforderung für den aus Argentinien stammenden Regisseur Marcelo Diaz war es, eine zugleich “körperbetonte und formale” Spielform  zu finden. Neun Wochen Zeit hat er sich mit dem Ensemble genommen und viel ausprobiert. “Ich habe selten so anstrengende Proben erlebt”, berichtet Marcelo Diaz. Erst hat er mit den Schauspielern die Szenen situativ und psychologisch durchgearbeitet. Damit der Kern der Figuren klar wird und die Geschichte nachvollziehbar bleibt. Dann ging es darum, eine Form zu finden. Dabei half ein Gast aus Indien, Kirtana Kumar. Die Schauspielerin und Filmemacherin unterrichtete drei Wochen lang die deutschen Schauspieler in der Kunst der Mudras. Dabei  handelt es sich um genau gesetzte Handgesten, die zur Darstellung von Gottheiten dienen, aber auch Energieströme und damit den Organismus beeinflussen. Weshalb sie auch beim Yoga eingesetzt werden.

Boxenstopp Backstage

Keine Handbewegung, keine Geste, kein Kopfdrehen ist zufällig in dieser Aufführung. Hinter der Bühne liegen haufenweise Masken und Kostümelemente für die schnellen Umzüge. Drei Garderobieren helfen den Schauspielern. “Das sieht ein bisschen aus wie beim Boxenstopp in der Formel I”, sagt Dramaturgin Anne Richter.  Autor Tor Age Bringsvaerd schlägt in seinem Stück vor, mit Schattentheater und Tänzen zu arbeiten. Das haben die Mannheimer weg gelassen und ihre eigene Darstellungsform entwickelt. Große Herausforderungen waren der Flug des Affengottes oder wie man die Seele eines verstorbenen Königs mit sich von der Bühne nimmt. Ohne große Effekte, mit körperlichen Mitteln und dem Einsatz einer Stoffbahn wird das Ganze gelöst.

Aber was bringt nun “Das Lied von Rama” inhaltlich Neues im Vergleich zu den vielen Fantasygeschichten der Gegenwart. “Es ist das Karma”, sagt Marcelo Diaz, “der Glaube, an die Wiedergeburt.” In den Stücktext hat er mit Anne Richter Passagen aus dem Original eingefügt, damit diese Ebene deutlicher wird. “Der Tod ist ein Freund”, nennt die Dramaturgin als zentralen Punkt. Auch politische Hintergründe sind wichtig. Rama entfacht einen grausamen Krieg, um seine Frau wieder zu holen. “Und Sita fragt sich: Was bedeutet das Schicksal einer Frau gegenüber Tausenden von Toten?” Die Beschäftigung mit dem “Lied von Rama” fasziniert Anne Richter, denn “es ist für die indische Kultur Bibel, Elias und Odyssee in einem.”

www.schnawwl.de

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