Für die internationale Partnerschaft zwischen dem Staatstheater Braunschweig und dem z/k/m Theater in Zagreb haben die Autorinnen Juli Zeh und Charlotte Roos gemeinsam das Stück „Yellow Line“ geschrieben, das am Wochenende in Braunschweig Premiere feierte (hier mein Eindruck von Stück und Inszenierung). Es ist ein kluger, komischer Text über das Freiheits- und Demokratiestreben der westlichen und der arabischen Welt, der mit der Uraufführung seinen Weg über die Bühnen wohl erst begonnen hat. Ungewöhnlich, dass zwei Autorinnen ein Stück verfassen, das so aus einem Guss wirkt – oder ist es gerade der kollektive Schreibprozess, der kritische Blick zweier Dramatikerinnen, der den Text gelingen ließ? Und warum nahmen die Beiden eine fliegende Kuh zum Anlass, um über Freiheitsbewegungen nachzudenken? Ein Gespräch mit Charlotte Roos.

Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen Juli Zeh und Ihnen beim Stückauftrag fürs Staatstheater Braunschweig?

Es war unser Vorschlag, zu zweit zu schreiben. Wir kennen uns gut und hatten schon seit längerer Zeit Lust, etwas zusammen zu machen. Juli wurde vom Theater Braunschweig dann gebeten, ein Stück zu schreiben – wir haben angefragt, ob wir das auch gemeinsam machen dürfen und dem wurde zugestimmt.

Ging das von einem gemeinsamen inhaltlichen Anliegen aus?

Das von Braunschweig vorgegebene Thema von Luftfahrt wurde ja sehr breit gefasst. Als wir versucht haben, uns dem zu nähern, haben wir noch mal deutlich gemerkt, dass wir zu ähnlichen Themen schreiben möchten – und dass wir auch ähnliche Dinge lustig und seltsam finden. Juli hatte zum Glück schon Erfahrung in der Zusammenarbeit mit anderen Autoren, was am Anfang sehr hilfreich war. Wir haben dann wild drauflos gelesen und uns vor allem für das Buch „Schöne neue Kuhstallwelt“ von Bernhard Kathan begeistert. Es geht darin um den Aspekt des Herdenmanagements – daraus entstand die erste Figur: der Herdenmanager. Dann sind wir auf die Zeitungsmeldung von der fliegenden Kuh gestoßen. Das ist natürlich grotesk: Wenn man sich ein Tier vorstellt, das abheben könnte, ist das als letztes eine Kuh. Die Zeitungsmeldung besagte aber tatsächlich, dass im Pazifik ein Fischerboot von einer Kuh getroffen wurde. Die Fischer wurden verhaftet, weil man glaubte, es könnte sich um eine Geheimdienstsache handeln – ganz wie wir das übernommen haben. In der Meldung hing es mit einem Viehdiebstahl zusammen: Die gestohlenen Kühe wurden im Flugzeug transportiert, es gab Turbulenzen und die Diebe mussten mehrere Tiere abwerfen. Dieses Bild war für uns so abstrus, dass wir es als Ausgangsszene verwendet haben.

Sie haben also die fliegende Kuh als Anlass benutzt, um über Freiheitssehnsucht und Demokratiebewegungen in der arabischen und westlichen Welt nachzudenken?

Ja. Wobei wir bei der Freiheitsfrage auch sehr von dem genannten Buch ausgegangen sind, weniger von der Zeitungsmeldung. Unser Schreiben fiel aber genau in die Zeit der revolutionären Aufstände in der arabischen Welt. Das Außen und Innen hat uns dabei sehr beschäftigt: Es gibt durchaus Menschen, die eine Sehnsucht nach dem viel zu gut funktionierenden, alle Störfaktoren ausschließenden System unserer westlichen Welt haben – und gleichzeitig gibt es Menschen innerhalb dieses spätkapitalistischen Systems, die darin gar nicht glücklich sind und die wiederum eine Sehnsucht haben nach einer Welt, in der nicht alles ferngesteuert ist.

Die Menschen in Ihrem Stück sehnen sich oft gar nicht so sehr nach Freiheit und Mitspracherecht, sondern nach Ordnung.

Ja, richtig. Sie möchten, dass das Leben gut funktioniert. Dass die Busse pünktlich fahren, die Straßen sicher und sauber sind – eine legitime Sehnsucht.

Wie haben Sie dann geschrieben? Jeder einen Erzählstrang?

Wir haben weder Geschichten noch Figuren aufgeteilt. Das Stück endet ja eigentlich mit der von Paul abgeworfenen Kuh – es beginnt aber auch mit dem Fischer, dessen Boot die Kuh getroffen hat. Diesen Kreis haben wir natürlich gemeinsam konzipiert. Ansonsten haben wir uns Szenen zuerst aufgeteilt  und dann gegenseitig überarbeitet. Die Verabredung war, dass wir Szenen auch überschreiben dürfen. Dieser Prozess ist sehr produktiv, denn manchmal kommt man an einem Punkt einfach nicht weiter. Wenn dann jemand eingreift, der thematisch im gleichen Kosmos unterwegs ist, kann das absolut hilfreich sein: Er nimmt sich die Szene vor und beschleunigt sie. Das Plotten und Bauen haben wir also gemeinsam gemacht – die Szenen schreiben konnte dann aber nur jeder an seinem eigenen Schreibtisch.

Haben Sie beim Schreiben auch an das kroatische Publikum gedacht? Waren Sie am dortigen Probenprozess beteiligt?

Weder noch. Mit der kroatischen Kooperation hatten wir gar keine Berührung. Eine Arbeitsfassung, die wir nach Braunschweig geschickt haben, wurde für die kroatischen Kollegen roh übersetzt, am Ende folgte dann die zweite Übersetzung des fertigen Stücks. Aber wir sind nicht nach Kroatien gereist.

Was haben Sie selbst dem Stück gegeben, was hat Juli Zeh dem Stück gegeben?

Ganz pauschal könnte man vielleicht sagen: Juli arbeitet etwas figurenpsychologischer als ich; ihr war es wichtig, die Beziehungen der Figuren innerhalb der Szenen zu konkretisieren. Mir liegt eine abstraktere Arbeitsweise näher. Wir haben uns dann ziemlich in der Mitte getroffen. Es hat gerade deshalb Spaß gemacht, weil man Dinge am Text ausprobiert, die man sonst vielleicht nicht versuchen würde.

Wie groß ist denn die Rolle, die menschliche Beziehungen im von Ihnen beschriebenen entindividualisierten System spielen?

Die Sehnsucht nach der Zugehörigkeit zu einem Menschen oder einer Gruppe von Menschen liegt ja allem zugrunde. Wir entscheiden uns für diese vorgeschriebenen Bewegungsabläufe, den Gesundheitswahn und halten uns an die vorgegebenen Lebenskonzepte, weil wir zum Kollektiv gehören wollen. Wenn man sich dem verweigert, steht man schnell allein da und das macht Angst.

In Ihrem Stück „Wir schweben wieder“, das am Wochenende bei der „Langen Nacht der Autoren“ in Berlin gezeigt wird, entwerfen Sie in einem surrealen Raum Existenzbilder von Menschen und entwerfen mit ihnen absurd komische aber auch alptraumhafte Szenen. Hat Juli Zeh Sie in der Zusammenarbeit an „Yellow Line“ mehr auf den Boden der Realität geholt?

Ja, vielleicht. Aber die Grundkonstellation, die wir in „Yellow Line“ benutzen, das Bild der fliegenden Kuh, die auf ein Flüchtlingsboot knallt, ist schon so skurril, so unwahrscheinlich, dass ich mich da leicht habe zurückrudern lassen auf einen zunächst etwas realistischeren Boden. Damit man erst allmählich entdeckt, wie grotesk es eigentlich ist, dass wir uns oft wie ferngesteuert von A nach B bewegen, ohne es zu merken.

Glauben Sie, dass die Themen des Stücks in Kroatien genauso aktuell sind?

Ich bin mir nicht sicher. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch innerhalb Europas große Unterschiede gibt, welchen Bezug man zu diesen Themen hat. Die Sehnsucht, mal nicht funktionieren zu müssen, nicht zu konsumieren, was einem vorgesetzt wird, nicht jedes Bedürfnis befriedigen zu können, ist sicherlich nicht bei allen Europäern so präsent wie in unserer saturierten Gesellschaft. Vermutlich auch nicht in Kroatien.

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