„Das weiße Zimmer“ von Andreas Sauter begeistert das Publikum in Paderborn

Der Raum ist weiß. Leitern stehen an den Wänden, auf dem Boden Schreibmaschinen, Koffer, ein kleines Podest. Nüchtern wirkt das Bühnenbild von Wolfgang Menardi auf den ersten Blick. Doch nach 90 Minuten geht man angerührt, vielleicht sogar verzaubert aus dem Theater. Es ist Dienstag, die letzte von vier Vorstellungen der chinesisch-deutschen Koproduktion „Das weiße Zimmer“ im vor wenigen Wochen eröffneten Theater Paderborn.

Die Hütte ist voll, an der Kasse gerät die Dame fast in Panik, als sie reservierte Karten nicht im Computer findet. Denn sie weiß nicht mehr, wo sie welche hernehmen soll. Viele asiatisch aussehende Besucher sind gekommen, Paderborn ist eine internationale Universitätsstadt. Die Aufführung läuft zweisprachig, auf deutsch und chinesisch, Übertitel sind unnötig. Nicht nur weil die Texte so geschickt verteilt sind, dass man jederzeit der Handlung folgen kann. Sondern weil die Gefühle so stark und stimmig rüberkommen, dass die Worte nicht das Wichtigste sind.

Der Schweizer Autor Andreas Sauter erzählt die Geschichte einer großen Liebe, die durch einen Krieg auseinander gerissen wird. Viele Filme aus dem asiatischen Raum haben ähnliche Plots. Meistens wirken sie für den europäischen Geschmack etwas kitschig, weil die Schauspieler sich hemmungslos in die Emotionen stürzen und dazu ein fetter Violinensoundtrack schmalzt. Nichts davon auf der Bühne. Ruhig, sanft, geradezu bescheiden nähern sich die Schauspieler den großen Gefühlen.

Das epische Leuchten

Die Erzählweise ist episch. Eine junge Frau besucht ihren kranken Großvater, dessen Tod sie nahen spürt. Eine Geschichte strömt aus ihm heraus, die er niemandem erzählt hat und die doch für ihn ganz präsent ist, obwohl sie Jahrzehnte zurück liegt. Ganz unaufwändig, ohne Kostümwechsel und Klischeegestik verkörpert der Schauspieler Rafael Meltzer den alten und den jungen Mann in Gegenwart und Rückblenden-Vergangenheit. Er ist in China aufgewachsen und hat dort im Museum seine große Liebe getroffen, Mei Lin. Der große, athletische Deutsche und die kleine, drahtige Chinesin Chen Yuan versprühen einen riesigen Charme. In ihren Gesten liegt Intimität, Vertrauen, ein Leuchten, und alles wird zerstört, weil er fort muss. Ein Krieg zwingt ihn dazu. Die genauen Zeitumstände werden nicht näher beleuchtet, was die Geschichte universaler, gleichnisartiger macht.

Der geklaute Drachenzahn

Sie schreiben sich Briefe, doch der Kontakt reißt ab. Der Mann heiratet eine andere, sie lehnt es ab, mit jemandem zusammen zu wohnen, bleibt allein. Sie vergessen einander nie. Er hat einen Drachenzahn aus dem Museum geklaut, manchmal spricht dieser Zahn, schließlich bringt er ihn, als das Reisen plötzlich wieder möglich ist, zurück. Jahrzehnte sind vergangen, er sucht Mei Lin, aber sie will nicht gefunden werden. Vieles bleibt rätselhaft in diesem Stück, und das ist eine Stärke. Was die Regisseurin Maya Fanke erkannt hat. Sie findet einen Mittelweg zwischen stilisiertem und psychologischem Spiel. Die Schauspieler wechseln oft die Rollen, ganz organisch gehen Dialoge und erzählende Texte ineinander über. Fast wirkt das Stück wie eine besonders gelungene Romanadaption, ist aber direkt für das Theater entstanden, genauer für diese Koproduktion des Huajuyuan-Theaters in Qingdao mit dem Theater Paderborn.

Die unterschiedliche Spielweise der Schauspieler ist deutlich erkennbar. Dagmar Jesussek und Rafael Meltzer agieren leiser, ehrlicher, brüchiger als ihre chinesischen Kollegen. Chen Yuan, Teng Fei und die wunderbar singende und tanzende Zhang Jiayi bewegen sich in klareren Formen, poetisch und kraftvoll. Doch dadurch bricht die Aufführung nicht auseinander, im Gegenteil. Ein Ensemble ist entstanden, dessen Gegensätzlichkeit gerade seinen Reichtum ausmacht. Maya Fanke hat mit großem Gespür chinesische und deutsche Theatertradition zusammengebracht und eine spannende Mischung erzeugt, die von Warmherzigkeit durchglüht ist. Als sich die Enkelin schließlich auf den Weg nach China macht, auf den Spuren ihres Großvaters, findet sie nach einigen Sprachschwierigkeiten das Museum. Leere Bilderrahmen fliegen vom Himmel, die Ausstellungsstücke und Gemälde werden lebendig. Sie versinkt in einer hinreißend phantasievollen Traumszene. Und am Ende steht die Frage, ob sie wirklich nach einer verloren gegangenen Liebe forscht. Oder ob große Gefühle die Lebenswirren überdauern und auf einer anderen Realitätsebene Seelen zusammen finden.

Verschiedene Verneigungen

Das Saallicht ist längst an, die Zuschauer klatschen unverdrossen weiter. Sie sind zutiefst beeindruckt. Noch beim Applaus sieht man klare Unterschiede. Die Deutschen nehmen ihn mit knappen Verbeugungen eher privat entgegen, die Chinesen breiten die Arme aus, lächeln, bleiben in klaren, fest gelegten Bewegungsabläufen. Es ist die Stärke der Aufführung, dass sie nicht nivelliert, sondern Gegensätze zulässt und aus ihnen eine subtile, berührende Erzählung gewinnt.

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