Mehmet Ali Alabora in "Reporter" im Theater Freiburg Foto: Maurice Korbel

Mehmet Ali Alabora in "Reporter" im Theater Freiburg – ein Gastspiel der türkischen Kooperative garajistanbul zum Auftakt der deutsch-türkischen Partnerschaft. Foto: Maurice Korbel

 

Direkt neben dem Freiburger Hauptbahnhof gibt es einen türkisch geführten Frucht- und Saftladen. Hier kann man getrocknete Erdbeeren kaufen, ein prima Tagesgericht bekommen, und die Granatäpfel schneidet der junge Inhaber auf Wunsch schon fachgerecht vor. „Die sind aus meinem eigenen Garten“, sagt er stolz. „Na, gewissermaßen: aus der Türkei.“ Wie man von hier zum Theater kommt, wissen er und seine Frau auch. Dass an diesem Abend Mehmet Ali Alabora dort auftritt, ist ihnen aber neu. „Der ist hier?“ entfährt es der Ladenbetreiberin aufgeregt? „Da will ich auch hin!“ – „Haben das nicht die Grünen organisiert?“ fragt ihr Mann und wiegt anerkennend den Kopf: „Ist schon ein bekannter Mann, der Ali Alabora.“

Der Andrang türkischer FreiburgerInnen vor dem Kleinen Haus des Theaters spricht die gleiche Sprache. Leute aller Sphären und Altersklassen sind vertreten: Grauhaarige mit Goldrandbrille, Wallehaarige in hohen Stiefeln, Bemützte mit Piercings und Feingemachte mit Kopftuch. Wieviele Türkischstämmige leben in Freiburg? „Ich habe von den beiden Kulturvereinen unterschiedliche Angaben bekommen“, sagt Viola Hasselberg, die Schauspielchefin des Freiburger Theaters, das (und natürlich nicht die Grünen!) mit dem Gastspiel von „Reporter/Muhabir“ seine Kooperation mit der Istanbuler Gruppe und Spielstätte garajistanbul einleitet. „Die einen sagen zweitausend, die anderen sechstausend.“

Stramm stehen vor der Fahne

Die, die gekommen sind, kennen den 1977 in Istanbul geborenen Mehmet Ali Alabora zumeist aus Fernseh-Soaps für den populären Kanal D oder aus dem Kino. Bis zu drei Produktionen jährlich verzeichnet seine Filmografie seit 1999, zuletzt entstand “7 Kocali Hürmüz” (7 Ehemänner für Hürmüz, 2009). Ein Werk, das man als nicht-türkischstämmige Deutsche zugebenermaßen nicht kennt. Aber die besser informierten Frauen im Publikum kichern aufgeregt, als sich die Tür zum Saal öffnet und Alabora die Hereinströmenden gleich singend und tänzelnd im eleganten Anzug empfängt, wobei er auf einem Tablett auch noch Tee anbietet.

Man kann ihn sich ruhig als einen türkischen George Clooney vorstellen. Schmales Gesicht, lässige Eleganz, und dabei das unbedingte Selbstvertrauen ausstrahlend, in jeder Lage einen Witz erzählen zu können. Umstandslos fragt er das Publikum, ob in Englisch oder Türkisch gespielt werden soll (es läuft auf Türkisch mit deutschen Übertiteln hinaus) – und steht als nächstes vor der rückwärtigen Leinwand stramm, auf der die historische Filmaufnahme eines militärisch exerzierten Hissens der türkischen Flagge zu sehen ist.

Mehmet Ali Alabora steht vor dem Filmbild einer türkischen Flagge stramm. Foto: Maurice Korbel

 

Sobald die türkische Nationalhymne ertönt, erhebt sich ein Teil des Publikums ­von den Plätzen – sofort, geräuschlos und ohne sich darüber zu verständigen – und bleibt stehen bis sie endet. Auch bei Gob Squad in der Berliner Volksbühne stehen die Zuschauer auf und recken zu „Revolution Now!“ die Faust. Aber natürlich in Gänsefüsschen, als Co-Performer. In Freiburg indessen ist ein heiliger, nein, viel ungewohnter: alltäglicher Ernst zu beobachten und auszuhalten. Hier kann das Bezeichnete noch über seine Zeichenhaftigkeit siegen.

Wobei Alabora später in der Diskussion sagt, dass sich manchmal auch niemand erhebt. Aber die, die stehen, die hat er da, wo er seine Performance beginnen will: am Punkt des persönlichen Bekenntnisses. Und dass Bekenntnis nicht blinde Gefolgschaft heißt und sich Persönlichkeit mitunter erst in der Selbsthinterfragung formuliert, ist die tiefere Botschaft dieser One-Man-„Doku-Performance“, in der Alabora auf seinem Computer verschiedene Ordner seines Lebens anklickt und dem Publikum vor stehenden oder laufenden Bildern erläutert, wie es ist, Ali Alabora zu sein.

Von der Kriegsfront zu den Busenwundern

„Reporter/Muhabir“ ist eine türkisch-niederländisch-französische Koproduktion und wurde bereits letzten Sommer im Rahmen der Wiener Festwochen im brut gezeigt. Inszeniert haben Övül und Mustafa Avkiran, zwei der Gründer von garajistanbul, der momentan vielleicht einzigen freien Spiel- und Produktionsstätte der Türkei, (wie Viola Hasselberg sagt), die ihren Fortbestand nicht zuletzt einer intensiven Vernetzungsstrategie zu verdanken scheint.

Auch Meg Stuart und Rimini Protokoll gehören zu den Assoziierten, und die Anschlussfähigkeit zu letzteren steht bei „Reporter“ außer Frage: Alabora tritt hier als Experte des eigenen Lebens auf. Zunächst als großer Erzähler in der Tradition der Schauspielerfamilie, der er entstammt, und von der er vor dem Hintergrund der türkischen Geschichte anekdotisch berichtet. Dann als Charakterfigur, die eine Entwicklung durchgemacht hat.

Denn im Alter von 18 bis 20 Jahren arbeitet er für den kommerziellen Sender ATV und berichtete unter anderem als Kriegsreporter aus Ramallah und dem Gazastreifen über die Intifada. Man sieht ihn auf der Leinwand als Jugendlichen zwischen israelischer Polizei und Steinewerfern. Er befragt eine junge Frau, steht neben einem Verletzten. Brennende Linien markieren neue Grenzen. Für einen anderen Auftrag jettet er dann nach Cannes, um am Strand den Busenwundern nachzustellen.

“Was wollte ich in diesen Leichenschauhäusern?”

Der Alabora des Jahres 2010 beklagt seine Ahnungslosigkeit vor 15 Jahren. Das reflexhafte und unterschiedslose Draufhalten auf alles, aus dem optisch Kapital zu schlagen war. Verglichen mit der heutigen, streng kontrollierten und computerisierten Kriegsberichterstattung, hat dieses Zeigenwollen und körperliche Dabeisein allerdings zumindest eine Qualität: Damals war wirklich einer vor Ort.

Zuhause, in der Türkei ging es mit der Sensationshascherei weiter. Von Unfall zu Mordfall, vom Anschlag zum Totschlag. „Was wollte ich in diesen Leichenschauhäusern? Was hatte das mit mir zu tun?“ fragt Alabora und watet auf der Bühne barfuß und ohne Hemd durch eine Lache aus Milch und Theaterblut. Er habe den Journalismus doch nur gespielt. Und wechselt daher lieber ganz die Seite.

Als Schüler war er im Musical “Anatevka” einmal Tevje, der jüdische Milchmann aus dem Schtetl, der gerne reich wäre, denn “If you´re rich, they think you really know”. Mit dem Taschentuch in der Hand singt und markiert Alabora die Rolle vor den ersten Bildern seiner Intifada-Berichterstattung – eine der beziehungsreichsten Szenen der Performance. Der Medienerfolg hat Mehmet Ali mittlerweile tatsächlich zu einem werden lassen, der etwas erreichen kann. Als Prominenter, der unter anderem den verrückten Serien-Polizisten Memoli gemimt hat, wurde er bei der Anti-Irakkriegs-Demonstration vom 15. Februar 2003, die in Istanbul verboten werden sollte, durch den Polizeikorridor gewunken. Und will mit den Worten “Die gehören zu mir“ auf die 20.000 Personen hinter ihm gezeigt haben. Mit seligem Lächeln erzählt er das. Dass sich Ruhm und Wesentlichkeit nicht ausschließen könnten – das ist offenbar (s)ein türkischer Traum.

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