Oder doch alles anders? Unterscheidet sich die Begegnung von Israelis und Deutschen der jeweils Dritten Generation doch nicht von der zwischen, sagen wir: Israelis und Franzosen? Nein, tut sie nicht, sagte der Regisseur Stéphane Bittoun gestern abend im Heidelberger Zwinger beim Publikumsgespräch nach der Uraufführung von „Undercover Tel Aviv“ im Rahmen des Heidelberger Stückemarkts. „Wenn sich ein deutscher und ein israelischer Schauspieler Mitte Dreißig in Israel treffen, sagen sie: ‚Hej, du bist auch Schauspieler – was spielst du?’“

Bitoun ist 1970 geboren, ist Regisseur, Schauspieler und Filmemacher, ist Deutsch-Franzose, lebt in Frankfurt am Main und hat, wie er erzählt, Familie in Israel. Franziska Beyer, Paul Grill und Dan Kastoriano, die neben ihm vor dem Publikum sitzen, widersprechen seiner Einschätzung der Dritten Generationen nicht. Michal Shtamler, die ebenfalls zum Undercover-Ensemble gehört, ist nicht dabei beim Gespräch, sie musste sofort nach der Premiere im Zwinger ins Theaterkino hasten, um dort die zweite Vorstellung von „Banalität der Liebe“ zu spielen, dem Gastspiel des Teatron Beit Lessin, mit dem der Heidelberger Stückemarkt am Donnerstag eröffnet wurde.

Hier ging es um die Erkundung einer Stadt

Sowieso sei es, so Bittoun, bei dieser Arbeit des deutsch-israelischen Familienbande-Projektes – anders als bei “They call me Jeckisch” nicht um die Erforschung irgend eines Verhältnisses gegangen, sondern um die Erkundung der Stadt Tel Aviv und ihrer Bewohner. Die Spionagegeschichte, die den Rahmen der Stückhandlung abgebe, bilde die eigene Suchbewegung des Ensembles ab. Mit Kamera und Mikrofon seien sie losgezogen, ohne zu wissen, wonach sie fahndeten. Und hätten dann freimütig eine Lebensgeschichte nach der anderen erzählt bekommen und wären stets auf wieder andere verwiesen worden, was sie, quasi im Schneeballsystem, einmal quer durch die Gesellschaft der „weißen Stadt“ geführt hätte.

Die Offenheit der Leute sei in der Tat erstaunlich gewesen, bestätigte Franziska Beyer, die vorher noch nie in Tel Aviv gewesen war und ohne spezielle Erwartungen in die Recherche gegangen ist. Und Dan Kastoriano, der Tel Aviver Kollege, berichtete, auch er hätte Neues gelernt und etwa erstmalig direkten Kontakt mit den Immigranten aufgenommen. Mit den an Wochenenden bunt gekleideten Afrikanern vom Hauptbahnhof etwa, die als Nicht-Juden kaum Hoffnung auf eine Aufenthaltsgenehmigung haben.

Dan Kastoriano als Spionagechef in "Undercover Tel Aviv". Foto: Markus Kaesler

Eine „Dokufiktion“ ist daraus entstanden, Buch, Regie und Videos stammen von Bittoun, der Videokünstler Roy Menahem Markovich gestaltete die Bühne: weiße Papptürme, Pappröhren und Pappkartons mit vergittertem Schall-Loch, die aussehen wie Soundsystem-Boxen, aber die in Tel Aviv unverzichtbaren Klimaanlage-Kästen darstellen. Leichtgewichtige Bausteine einer lustig-paranoiden Konstruktion und Verfolgung des – ja was? Tel Aviver Lebens? Oder doch nur Lebensgefühls?

Trau niemandem mit Pelz oder ohne!

Jedenfalls auf englisch, hebräisch und deutsch, über Video und in Echtzeit permanentes Bedroht- und Getriebensein – jeder ein Agent auf der Suche nach (s)einer urbanen Identität, die so exaltiert sein muss, dass sie in Tel Aviv nicht weiter auffällt. Die Schauspieler flechten die Stränge von jeweils drei, vier Biografien zu einem lockeren Netz, das sie beiläufig über die Bühne werfen und in dem der von seinen orthodoxen Eltern verstoßene Jugendliche ebenso aufgefangen wird wie der sexsüchtige Knesset-Angestellte, die romantische Sinnsucherin oder die sephardische Filmemacherin.

Letztere erzählt ihre Geschichte sehr lustig als die einer aus Ägypten stammenden Fledermaus, wie Bittoun sowieso gerade anhand von Tieren seinen absurden Humor am schönsten entfaltet. Videobilder bedeutungsschwanger gefilmter Straßenkatzen werden mit einem verschwörungstheoretischen Text unterlegt – traue niemandem mit Pelz oder ohne!

Höchstens Platz für eigene symbolische Notizen

In gelegentlichen Szenen synchronen Schattenboxens setzt die Inszenierung zu einer Choreographie an, die sich dann aber wieder auflöst. Und auch die symbolische Ebene bleibt Skizze. Die Legende von dem (von den Leuten als „Rabbi Milchmann“ konsultierten) Kabbalisten, der im Besitz einer geheimen brieflichen Voraussagung ist, eröffnet und schließt zwar die szenische Erzählung, bietet aber höchstens Platz für eigene Notizen. Das Geheimnis zu wahren, fällt dem Weisen immer schwerer, und so vertraut er den Brief schließlich der sephardischen Fledermaus an, die unbedingt wissen will, warum die Leute vor ihresgleichen ausspucken. Als sie aber am Ende von den anderen Agenten genötigt wird, ihn vorzulesen, öffnet sie den Mund ohne Ton. Und Black.

„Ich wollte eine leichte Inszenierung machen“, sagte der Regisseur hinterher. Wenn von Israel die Rede ist, ginge es immer um den Nahost-Konflikt oder den Holocaust. Was er zu Anfang schnell abhandeln lässt: „Wo kommst du her?“ – „Aus Deutschland.“ – „Keine so gute Vergangenheit.“ – „Und du? „– „Aus Israel.“ – „Keine so gute Gegenwart.“ Und Patt?

Die nächste Premiere der Familienbande-Reihe wird im Juli im Heidelberger Stadtraum stattfinden. Die israelische Performancegruppe Public Movement will mit vierzig Heidelberger BürgerInnen Notfall-Rituale choreografieren. Ein Ornament der deutschen Masse, made in Israel. Bitte schickt Fotos!

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