In Paris probt und schreibt, schreibt und probt Joël Pommerat mit der Compagnie Louis Brouillard ein Stück: «Ma chambre froide». Christoph Werner vom Puppentheater Halle und seine Leute reisen zu Pommerat und schauen zu, sie werden das Stück mitnehmen und zu Hause als „Meine Kältekammer“ selbst erarbeiten. Auch Pommerat experimentiert mit Puppen, lässt es am Ende aber sein. „Die ästhetische Notwendigkeit hat sich mir nicht aufgedrängt. Und ich habe gemerkt: Das ist ein Handwerk!“, sagt er im Anschluss an das Gastspiel von „Ma Chambre Froide“ in Halle. Die Hallenser kennen erst die Inszenierung mit den Puppen. Sie kennen, wenn man will, den Remix, wie der Popist sagt. Oder die «Version», wie man auf Jamaika sagte, wo die Kultur des Remixes ihren Urspung hat. Was wir nun gesehen haben, war streng genommen, das Original. Aber gerade dieser Austausch ruft wieder eimal in Erinerung, wie überholt dieses Begriffskette ist – Original, Remix, Version? Für die Hallenser ist natürlich Pommerats Abend (fast) ohne Puppen der Remix, das Feedback, der Alternate Take.

Ich bin vielleicht deshalb so popkulturell gestimmt am andern Morgen, weil der Abend in fast jeder der vielen Schwarzblenden und Szenenpausen Achtzigerjahre-Pop gespielt hat: Heaven 17, Spandau Ballet, Prince, am Ende sogar „What a Feeling“ vom „Flashdance“-Soundtrack. Allerdings, bis auf Flashdance, immer durch den Schallschleier einer Wand, die Musik kam stets wie von draußen. Zum einen hat das mit der Geschichte zu tun, klar: Erzählt wird eine Rückblende, aus dem Tagebuch der Angestellten Estelle, die in einem Supermarkt arbeitet. Die meisten Szenen spielen in der Garderobe. Wir hören also die Beschallung des Kundenraums (welche 80ies-Erinnerung trügt hier: Pommerats oder meine? Heaven 17 als Supermarktmusik kommt nicht vor in meinen Jugendarchiven…). Doch auch die Fabel selbst ist Pop, Theaterpop zumindest. Denn noch für jede Erniedrigung hat Estelle Verständnis und geht darin auf, fast wie die Mariedl aus Schwabs „Die Präsidentinnen“, immerhin einer der meistgespielten Rollen bei Vorsprechen auf Schauspielschulen. Doch auch bei Pommerat gründet die Kloake tief. Als der Supermarkt in eine Selbstverwaltung übergeht, weil der Chef krank wird, übernimmt sie als Doppelgänger-Figur die Führung. Als heilige Estelle erpresst sie heimlich die Regie für ein Theaterstück zu Ehren des Chefs. Als ihr monströser Bruder setzt sie die Mittel dazu ein. Herr Puntila und sein Knecht Matti, Der Gute Mensch von Sezuan: Das Motiv der Umkehrung und auch der Fortgang der Fabel erinnern stark an Brecht. Motivation und Konsequenzen sind allerdings komplett andere. Man könnte es so sagen: Wo sich Brecht für die Mitarbeiter und für den Besitzer interessiert hätte, fokussiert Pommerat auf Estelle. Ihr Leiden und ihr Genießen bedingen sich. Auch der abseitige Genuss ist einer, vielleicht erst recht dieser. La sainte et le monstre, wie es im Stück heißt, die Heilige und das Monster sind nicht zwei, sondern ein und dieselbe Figur. What a Feeling.

Der Abend bedient sich aber auch sonst popistischer Instrumente, zumindest im Vergleich zu den Bühnenkonventionen im deutschsprachigen Raum. Das Publikum sitzt in einem engen Amphitheater aus Holz, das Geschehen hat man vor der Nase wie auf der Tanzfläche – auch an Trockeneis wird nicht gespart, als Zeichen für Nikotinrauch. Vor allem aber: Es ist nie ganz hell. Meistens kommt das Licht spärlich und vertikal von oben – von schummrig bis expressionistisch scharf. Und dann diese schnellen Schnitte. Szene, Zack, Black, Szene. Niemand hält hier lange Monologe. Pommerat inszeniert insofern filmisch, als hier kein Schauspieler Pausen spielt und mit dem Zaunpfahl „Subtext“ winkt. Blende. Ein Bild. Ein Tanz. Eine Plane, die schimmert wie das Wasser. Szene. Spitzenhandwerk unter Livebedingungen. Das hat auch etwas Gespenstisches, wer weiß: Puppenhaftes.

Die meisten Zuschauer hatten Kopfhörer auf, weil der Abend simultan übersetzt wurde. Mich stört ein zusätzlicher Sprachkanal, meine passive Französischkompetenz reicht gerade noch. Es gibt schöne Sprach- und vor allem Dialekt- und Akzentspiele. Um sie genau zu verorten, fehlt mir dann doch einiges. Wenn ich nicht völlig irre, sprach man aber ein südliches, mindestens aber ländliches Französisch. Wo man päng und demäng sagt, nicht pain und demain (fast wie die Berliner eigentlich). Aber ich bin mir nicht sicher. Auch nicht darüber, wie Pommerat das Geschäft und die Liebe in seiner Fabel verbindet, das Theater mit dem Einzelnen oder umgekehrt. Wir saßen nochmal im Rund, zur Diskussion. Als die Zeit für Fragen kam, hat der Moderator abgeklemmt. Und uns gebeten, nun unter vier Augen zu diskutieren. Here we are. Die Kommentarfunktion hat 24 Stunden auf.

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