Martin Zongo vom C.I.T.O-Theater ist gerade aus Burkina Faso angereist, trägt elegante Schuhe und beantwortet im Foyer des Mainfranken Theater in Würzburg geduldig Fragen, als hätte er das schon immer gemacht. Eigentlich wäre schon Mittagszeit an diesem sonnigen Novembersonntag. Aber es dauert alles etwas länger – die Übersetzungen zwischen Deutsch und Französisch, die familiäre Atmosphäre zwischen Würzburger Abonnenten, ihrem Schauspielchef Bernhard Stengele und den Burkinabé. Man hat Zeit und Interesse. Ja, sagt Zongo, es gebe auch in Ouagadougu Sprechtheater. Aber nur da, und ohne festes Haus. Am Abend sitze ich in der Nähe von Zongo, als auch er die Zusammenarbeit „Les Funérailles du désert“ zum ersten Mal sieht (s. Blogeintrag unten). Er schaut auf diese riesige Bühne und findet kaum Worte für die schiere Dimension.

Teil des interplanetaren Foyers in Würzburg

Tagsüber hat man viel geredet, erklärt, kontextualisiert. „Theater machen in West-Afrika“ war ein Begleit-Symposium zu „Les Funérailles du désert“ am 13.11., von 10 bis 17 Uhr gab es einen Überblick über die gesamte westafrikanische Theaterregion, einen Fokus auf Burkina Faso, man erfuhr Einführendes über die Säulenheiligen der Postcolonial Studies, Frantz Fanon und Homi Bhabha. Es gab einen Vergleichsbericht von den Konstanzern, die gerade mit Malawi zusammenarbeiten und im Juni 2012 Premiere haben (wir werden berichten!), und man hörte ganz viele Schmankerl zu Würzburg-Ouagadougou. Das Publikum mischte sich zunehmend stärker ein. So sehr diese kleine Tagung durchdacht war und die Theatergänger behutsam begleiten wollte auf dem Weg zur Begegnung mit dem, je nun, Fremden: In der Begegnung mit dem vermeintlich Eigenen, den Zuschauern nämlich, erfährt man mindestens so gut, warum man sich die viele Arbeit immer wieder machen muss.

Interkulturelle Arbeit ist nicht wegen dem Fremden oft mühsam, sondern mindestens so sehr auch wegen der eigenen Hybridität, wie das bei Bhabha wohl heißen würde: Das, was man für die eigene Kultur hält, ist bereits derart ausdifferenziert und heterogen, dass man kaum weiß, von welcher Position aus man dem Fremden überhaupt begegnen soll. Und dann sind diese Fremden auch noch selbst so unterschiedlich!

Aus dem Publikum werden eifrig eigene Afrika-Erfahrungen mitgeteilt. Dort sei immer alles kaputt, niemand repariere was. Und die Afrikaner hätten halt auch ein anderes Körpergefühl. Andere loben die Würzburger Inszenierung dafür, dass das Ensemble aus Deutschen und Burkinabé „nahtlos“ ineinander übergehe, „als hätten die Schauspieler schon ihr Leben lang zusammen gespielt.“ Die Wahrnehmung an diesem Sonntag ist meistens von den zwei gleichen Mustern geprägt: Differenz oder Ähnlichkeit, wobei die Ähnlichkeit oft nur den Wunsch ausdrückt, die Differenz zu überwinden. Warum soll eine Theaterarbeit, die von einer ersten Begegnung zweier Kunstkulturen handelt, so tun, als sei man „nahtlos“ miteinander verwachsen? Man kann dem Zuschauer keinen Vorwurf machen. Er hat das gesehen, was er sich wünscht. Manchem Kritiker geht es oft nicht anders. Und: „Les Funérailles du désert“ thematisiert ja die Begegnung der Kulturen, da ist es auch verständlich, dass man das Begriffsrohr auf Unterschied und Ähnlichkeit kalibriert.

Vielleicht bleibt man begrifflich aber auch deswegen in den Anfängen stecken, weil diese Form der Arbeit selbst erst beginnt. Wir stehen am Anfang. Vielleicht muss man erst ein paar solche Inszenierungen gemacht und gesehen haben, bis man zum Beispiel nicht nur die Afrikaner, sondern auch die Europäer über ihre Körperlichkeit beschreibt, wie Bernhard Stengele sinngemäß anmerkte (ich paraphrasiere Stengele: warum schreibt niemand über den dicken Hintern der Deutschen, warum sieht niemand den deutschen Trommler?). Und erst wenn diese Form der Theaterarbeit alltäglicher geworden ist, wird man sich auch andern Themen als der Selbstbespiegelung der interkulturellen Begegnung annehmen können.

Auch ein Symposium findet in einem Theaterrahmen statt, die Worte werden vor Mikrofonen geäußert, die Kunst rahmt die Rede. Alles ist eine Bühne, und auch da zeigen sich Konflikte, Widerstände, ja Differenzen und dann doch wieder verblüffende Ähnlichkeiten. Wenn jemand übersetzt, aber mehr von sich erzählt, als vom zu Übersetzenden, wenn jemand ständig von der Begegnung mit dem Publikum spricht, das Publikum aber nicht ansieht, weil die Augen nicht vom Manuskript loskommen, das man sowieso besser frei zusammengefasst hätte, und wenn jemand von der Theaterarbeit berichtet wie ein Prediger, weiß man wieder: Jede Theaterarbeit, auch die interkulturelle, steht und fällt mit so unbeschreiblichen und kaum zu vermittelnden Fähigkeiten wie Präsenz, Charisma und Persönlichkeit.

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