14.07.    von Bernhard Stengele

Eigentlich wollte ich über die heutigen Ereignisse wie gewohnt schreiben, habe aber jetzt beschlossen mich auf ein Thema zu beschränken, weil es so symptomatisch, weil es so nachdenkenswert ist. Bei der morgendlichen Probe stellte ich irgendwann die Frage nach der Beschneidung von Frauen und ob das nicht ein Thema sein sollte in unserem Stück. Die Reaktion auf meine Frage war ein merkwürdiges, fast betretenes Schweigen. Ich lachte und fragte, was denn los sein. Langsam entspann sich eine immer lebendiger werdende Diskussion darüber, dass das Thema eigentlich so breit getreten wäre, dass es niemand mehr hören wolle. Des weiteren gab es ein breites und erstaunliches Verständnis für die Bescheidung bei Frauen. Bitte recht verstehen, es gab Niemanden der sagte, man solle das weiterführen. Im Gegenteil, es war absolut glaubhaft, dass alle Anwesenden die Beschneidung für ein Übel hielten, aber es wurden soziale, religiöse und traditionelle Betrachtungsweisen in die Diskussion eingebracht. Es wurden verschiedenene für mich extrem gruselige Techniken beschrieben, die ich nicht wiederholen möchte. Jede Ethnie hat ihre eigenen Begründungen und Rituale. Die Frauen waren bei der Diskussion stiller als die Männer. Ich war wirklich insgesamt sehr überrascht, blieb aber bei „beobachten, nicht bewerten“. Irgendwann machte ich klar, dass es in unserer Gesellschaft, wie bei mir persönlich kein Verständnis für diese grausame Tradition gibt. Wir diskutierten auch meine These, dass dieses Gottesspiel nichts anderes ist, als die Angst und die Enttäuschung der Männer darüber, dass die Kraft ihres Penis nicht so alleinstehend glückbringend ist , wie sie es gerne hätten und sie deshalb ein so verabscheungswürdiges Unterdrückungsmittel einsetzen. Diese These wurde unterstützt durch die Aussage, dass eine nicht beschnittene Frau, so die traditionelle Erklärung, untreu und schmutzig leben wird, während eine beschnittene Frau treu bleibt . Ouelgo Tené
So kamen wir auf Inquisition, auf die Unterdrückungsmechnismen in der europäischen Gesellschaft. Dennoch blieb die Diskussion merkwürdig verhalten.
Am Abend traf ich eine Bekannte, die ich zufällig vor 2 Jahren kennengelernt hatte, eine Burkinabe, die in einer NGO arbeitet, und ich erzählte ihr davon. Auch sie blieb still und ich fragte nach. Da wurde sie wütend und sagte, sie habe es satt, dass man zwar durch die Aufklärungskampagnen viele Frauen vor der Beschneidung beschützen würde, die beschnitten Frauen aber einer grausamen Betrachtung aussetze. Denn es würde überall behauptet, beschnittene Frauen wären traumatisiert, wären frigide und eigentlich seelische Wracks. Und mit wütender Stimme erzählte sie mir, sie wäre selbst beschnitten und durchaus in der Lage, ihr Leben zu meistern, sie fühle sich nicht traumatisiert, sie hätte ihrer mitleidig reagierenden Cousine gesagt, sie solle ihr mal den Mann leihen und ihn dann fragen, ob sie Sex zu genießen wisse. Sie hätte diese Beschneidung als selbstverständlich erlebt, das Ritual bei ihrer Ethnie wäre nicht grausam, es tat nicht mal sehr weh. Sie wolle damit aber keinesfalls die Beschneidung verteidigen. Sie persönlich aber habe keine Lust mehr darauf, ständig beweisen zu müssen, dass sie eine vollständige, glückliche Frau sei und kein armseliges Leben führe. J’en ai marre, sagte sie , ich habe die Schnauze voll. Jaqueline Kini
Jetzt war ich still. Wir redeten von anderen Dingen und tranken in Ruhe und friedlich unser Bier aus. Und ich denke daran, wie gefährlich es sein kann, nicht zu bedenken, wie selbstsüchtig, wie sensationslüstern und herablassend Mitleid sein kann. Beobachten, beobachte, beobachten, nachdenken, nachdenken, nachdenken…
Die beiden Fotos zeigen unsere Schauspielerin Jaqueline Kini und unseren Schauspieler Ouelgo Tené

13.7.    von Bernhard Stengele

Das Zimmer ist sehr schön. Ein merkwürdiges Hotel in dem ich da gelandet bin, ich denke, es dient der Geldwäsche. Ich schaffe es morgens ordentlich Yoga zu machen, um 6.30, und werde von Adama abgeholt. Wir fahren durch die Stadt nach Napam Beogo. Das ist ein kleines Kulturzentrum vom Cito für unsere Tage angemietet. Ich werde sehr herzlich begrüßt. Viele begabte Kollegen habe ich enttäuscht, viele werden nicht verstehen, warum. Diese Entscheidungen sind schwer. Warum der und nicht ich? Das Leben ist voller solcher Fragen. Und die Antwort fast immer unbefriedigend. Nur ganz selten liegen die Entscheidungsgrundlagen klar auf dem Tisch.  In diesem Fall ist es besonders schwer gewesen, weil mehr Kriterien als sonst eine Rolle spielten, zum Beispiel soziale Kompetenz und  Zuverlässigkeit und das alles antizipert und nicht erfahren.

Es fällt mir schwer französisch zu sprechen, jetzt, da mir alle andächtig zuhören. Ich suche ein wenig nach Worten, erkläre den Kollegen, was wir bis jetzt gearbeitet haben, wie viel Enthusiasmus entstanden ist in Würzburg, wie groß die Freude ist an diesem Projekt teilzunehmen. Obwohl ich müde bin gelingt es mir ein wenig von dem Enthusiasmus zu vermitteln, alles sind noch ein bisschen scheu, aber das wird sich legen.

Wir steigen ein in die Textarbeit, mein lieber Herr Gesangsverein, alles zweisprachig, wirklich sehr anspruchsvoll. Ich schreibe hier nicht, wie die Kollegen arbeiten, wo ihre Stärken und wo die Schwächen sind, das gehört nicht hierher, aber es ist klar, es ist eine Umstellung. Was mir sehr deutlich wird, ist, dass das Französische für alle eine Zweitsprache ist, alle sprechen besser als ich, aber es ist nicht frei, das wird beim lesen sehr deutlich.

Wir arbeiten in der Schwüle drei konzentrierte Stunden, dann geht es los. Der Regen kommt unerwartet,  schnell und heftig, laut, von Donner und Blitz begleitet. Es ist so laut, dass das Arbeiten sinnlos ist, wir haben eh genug getan. Ich beende die Probe, was auf Gelächter stößt, weil es eh nicht mehr geht, aber auch niemand nach Hause fahren kann mit dem Moped – unmöglich. Also warten wir und  diskutieren weiter über Mann / Frau und immer wieder Tradition und Moderne. Quicklebendig, laut und durcheinander – Der Regen lässt nach und wir fahren zu Rachelle für Rizsauce. Ich eß das wirklich gerne, so simpel es ist. Mit der scharfen Sauce und dem zähen Stückchen Fleisch drin. Heute gab es großes Gelächter, als ich von den Vegetariern erzählte und dass wir unmöglich ein Huhn schlachten können auf der Bühne.  Manchmal wird einem in der Fremde bewusst, wie relativ der Begriff Freiheit ist. Ich komme aus jenem Land, wo es  Millionen von Gesetzen gibt, die unsere Freiheit regeln.

Ich sag es jetzt und immer wieder:  die Aufgabe des Darstellers ist beobachten, sehr genau beobachten, nicht bewerten. Ich erzähle von der Doppelmoral, dass Massentierhaltung erlaubt (wahrscheinlich weil wir in Mitteleuropa sonst sofort alle verhungern müssten oder uns nie mehr Fleisch leisten könnten), aber das Schächten verboten ist.

Der Regen kommt und geht. Ich fahre mit dem Moped, Rachelle stellt mir eines zur Verfügung durch die Stadt. So anders. Tiefe Pfützen auf der Straße, die Luft geklärt und angenehm, die Menschen scheinbar unberührt, es gibt keinen Staub, noch spür ich keine Mücken.

Im Hotel fange ich an die Mails zu checken, Schwamm drüber.

Abends gehe ich mit Ouelgo aus, 2 Bier ein bisschen Hähnchen. Ein Gespräch unter Männern.

10.7   von Bernhard Stengele

Manchmal ist es das Reisen vor dem Reisen, das mich durcheinanderbringt.

Eine großartige letzte Vorstellung von den Vögeln mit anschließender Feier. Der Bürgerchor nimmt Abschied. Soviel Begeisterung – schönes Wort eigentlich Be-geist-erung.

Und wir sind das couragierteste Theater in Bayern. Ja, ich wiederhole es solange, bis es alle gehört haben, denn jahrelang wurde man bis zuletzt mit diesem Krisengequatsche zugeballert und dieser Provinzgenügsamkeit und dieser Hierarchie der Städte und der Künste in Deutschland , als ob mit der Bombardierung am 16.03.45 jegliche Zukunftsmöglichkeit erloschen wäre.

Und so viele Papiere soll ich mitnehmen nach Ouagadougou, wo Regenzeit ist und die Moskitos warten und Verträge und Bilder, also professionelle Bilder soll ich machen, ausgerechnet ich. Ich muss meinen Geist umstellen auf Organisation, auf Listen und Abhaken. Also ab nach Berlin.

Ich treffe die Autorin Lilith Jordan, auf einem Stadtstrand beim Hauptbahnhof, bring sie auf den letzten Stand, suche anschließend dieses Flughafenhotel, das kompliziert zu finden und nur mit Klimaanlage zu beschlafen ist, weil zuviel Verkehrslärm. Schlafe schlecht.
Read more...

Juli 2011     von Max De Nil

Es beginnt… Es geht los. Wir fangen an.

Wir beginnen mit der Arbeit an LES FUNÉRAILLES DU DÉSERT.

Der von Paul Zoungrana und Lilith Jordan geschriebene Text liegt vor uns. Es gibt ihn wirklich. So lange wurde geplant und darüber gesprochen. Jetzt ist er da. Er dampft noch. Er ist noch nicht ganz vollständig. Es müssen noch einzelne Szenen geschrieben und in Deutschland spielende Geschichten auf Deutsch übersetzt werden. Denn die Sprache ist zu großen Teilen Französisch.

Die Schauspieler aus Burkina Faso kommen erst zum Probenbeginn nach der Sommerpause. Also arbeiten sich die deutschen Kollegen mit verteilten Rollen durch das Stück und so schaffen wir es gemeinsam, lesend und uns gegenseitig mit der Übersetzung helfend, einen ersten Eindruck zu bekommen.

Die Sprache ist kraftvoll und bilderreich. Aber um das alles flüssig in die Schnauze zu bekommen braucht es Übung. Man müsste es einfach so mit Löffeln und Messern und Gabeln und Forken und Fingern fressen können, einen gigantischen Rülpser machen und dann hat man es unvergessbar im Hirn.

Wir sollten uns bemühen, burkinisches Französisch zu sprechen, rät uns Bernhard Stengele le directeur der Produktion.
Read more...

Von Kai Tuchmann

Während unseres letzten Aufenthaltes in Ouagadougou besuchten wir das Nationalmuseum von Burkina Faso.

Zur Institution des Museums in Deutschland

Die Alte Nationalgalerie in Berlin wurde 1876 feierlich eingeweiht, um durch das Sammeln von Kunstwerken einen Beitrag zur Etablierung eines deutschen Nationalbewusstseins zu leisten. In goldener Schrift steht dementsprechend über dem Eingang der Nationalgalerie die Widmung: “Der deutschen Kunst”. Als der zweite Direktor der Alten Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, begann, Kunst aus dem Land des Erzrivalen Frankreich zu sammeln, da er in der Auseinandersetzung mit der französischen Kunst die Möglichkeit sah die deutsche Kunst zu fördern, löste dies intensive Diskussionen und die Verärgerung des Kaisers aus .
Read more...

Older Posts Newer Posts