Die Kammerspiele Paderborn und das Theater aus Qingdao zeigen die Uraufführung von Andreas Sauters Stück „Das weiße Zimmer/Long Ya“

Mit zwei oder drei Beteiligten wollte ich sprechen. Jetzt sitzen alle am Tisch auf der Probebühne, nicht nur Schauspieler und Regisseurin, auch der Choreograph, der Requisiteur, die Regieassistentin. Sogar der Intendant des Theaters aus dem chinesischen Qingdao ist gekommen. Chinesische Süßigkeiten stehen vor uns, grüner Tee wird eingegossen, der aus den Bergen hinter Qingdao stammt. Vor jedem steht ein Namensschild, schon bei der Vorstellungsrunde wird viel gelacht. Vor allem weil ich versuche, die Namen richtig auszusprechen. Wogegen viele Chinesen akzentfrei auf Deutsch grüßen.

Der Eindruck von Höflichkeit und Freundlichkeit trügt nicht. „In China haben wir gelernt, immer positiv über die anderen zu sprechen“, erzählt die Regisseurin Maya Fanke. „Bei den Proben sitzen oft viele Leute im Publikum, klatschen zwischendurch, feuern uns an, unterstützen die Arbeitsatmosphäre. Man klagt nicht über das, was fehlt. Man freut sich über das, was da ist.“

Die erste Vorstellungsserie liegt schon hinter dem gemischten Ensemble. In Qingdao wurde „Das weiße Zimmer“ bereits im Juni gezeigt. Vor einem konzentrierten, aufmerksamem Publikum, wie Schauspieler Rafael Meltzer berichtet. „Ich habe mir auch andere Vorstellungen angesehen. Da war es lebendiger im Publikum, Handys klingelten, Leute gingen rein und raus.“ Er hat den Eindruck, die Zuschauer wollten sich so benehmen wie es ihre deutschen Gäste im Theater gewöhnt sind. Was zum Gesamteindruck passt. Auch Regisseurin Maya Fanke erzählt, dass ihre chinesischen Mitarbeiter immer fragten, wie sie bestimmte Szenen in Deutschland gewohnt ist zu erarbeiten, zum Beispiel wenn jemand stirbt. „Ich wollte aber gerade wissen, wie sie diesen Moment spielen würden.“ Die riesige Höflichkeit macht es auch im Gespräch nicht leicht, spannende Geschichten, Reibungen, Knackpunkte zu erfahren. Denn so etwas frei von der Leber weg zu erzählen, gehört nicht zur chinesischen Kommunikationskultur. Auf die Frage, wie er seine Ideen entwickelt habe, sagt Choreograph Li Peng, er habe Maya Fanke gefragt, wie sie es haben wolle. Und Intendant Wang Ke verneigt sich in geschliffener Rhetorik vor den Paderbornern: „Unsere Zusammenarbeit ist so, als ob eine ältere Schwester mit einem kleinen Jungen spazieren geht.“ Wobei der kleine Junge das chinesische Theater repräsentieren soll, denn die Schauspieltradition sei viel jünger als die deutsche.

Das weisse Zimmer: Chen Yuan, Jessusek, Zhang Jiayi

In einem Punkt allerdings hat Wang Ke eine abweichende Meinung geäußert und durchgesetzt. Da ging es um den Titel. „Das weiße Zimmer“ hat Autor Andreas Sauter seine gefühlvolle Geschichte genannt, in der eine junge Frau nach Qingdao fährt, in die Stadt, die ihr Großvater vor 60 Jahren verlassen musste. Sie sucht nach seiner damaligen großen Liebe und hat einen Drachenzahn im Gepäck, den er damals mitgenommen hatte. Die Farbe Weiß wird aber in China eindeutig mit dem Tod in Verbindung gebracht. Das Publikum hätte Titel und Handlung nicht in eine Beziehung setzen können. Deshalb trägt das Stück den chinesischen Titel „Long Ya“, Drachenzahn. Internationale Koproduktionen sind für die Bühne von Qingdao eine Säule des Spielplans. Oft geht das Theater, das über 60 fest angestellte Schauspieler hat, auf Tournee. Neu ist für die Chinesen allerdings, dass ein zweisprachiges Stück ohne Übertitel gespielt wird. Jeder spricht seine Landessprache, die Aufführung erklärt sich auch so, über Körpersprache und Bilder. Was in Qingdao ausgezeichnet geklappt hat. Die Schauspielerin Zhang Jiayi, eine der erfahrensten des Ensembles, macht sich vor der deutschen Erstaufführung allerdings Gedanken: „Es sind ja nur zwei deutsche Schauspieler dabei und drei von uns.“ Sie hat Zweifel, ob das Publikum es akzeptiert, dass mehr chinesisch als deutsch gesprochen wird.  Intendantin Merula Steinhardt-Unseld zerstreut diese Bedenken allerdings sofort.

Der Förderverein kocht

Die Theaterleiterin hat das Projekt vor zwei Jahren angestoßen. Die Technische Universität Paderborn hatte schon länger Kontakte zur Partnerstadt in China und auch immer wieder einen kleinen Kulturaustausch organisiert. Da die Kammerspiele ein neues Haus bauten, das inzwischen eröffnet ist und technisch größere Möglichkeiten hat, suchte Merula Steinhardt-Unseld Unterstützer für eine Theaterkoproduktion. Und fand sie nicht nur in den Städten und beim Wanderlust-Fonds, sondern auch bei den Bürgern. Während die Chinesen zu Gast sind, kommt jeden Mittag ein Mitglied des Fördervereins und kocht für das gesamte Ensemble. So lernen die Gäste eine große Vielfalt der deutschen Küche kennen. Essen und Trinken nehmen für die Chinesen einen großen Stellenwert ein. Die Probenzeiten sind so organisiert, dass immer um Punkt 12 Uhr gegessen werden kann. Das Theater liegt direkt neben der Altstadt mit ihren Garküchen, Obstständen und Restaurants. Die Schauspieler schwärmen von Fischen und Meeresfrüchten, von einer Küche, die nichts mit dem zu tun hat, was chinesische Restaurants bei uns servieren. Für die Chinesen gehört das alles zusammen, Essen und Kunst, Leben und Theater.

Von Doppelbesetzungen und Körpergedächtnis

Einige neue Herausforderungen brachte die konkrete Zusammenarbeit schon. Da das Theater in Qingdao so viele Schauspieler hat, kennen sie keine Doppelbesetzungen. Es ist immer jemand da, der auch einen kleinen Auftritt übernehmen kann. Sich hinter den Kulissen schnell umzuziehen und in einer anderen Rolle wieder aufzutreten, erzählt Zhang Jiayi, sei für sie etwas ganz Ungewöhnliches. Aber sie hat sich darauf eingelassen und schnell großes Vertrauen in die Regisseurin entwickelt. Für die beiden deutschen Schauspieler hingegen war es beeindruckend, wie körperlich präzise ihre chinesischen Kollegen arbeiten, dass sie ein genaues Bewegungsgedächtnis entwickelt haben und einmal geprobte choreographische Abläufe sofort wiederholen können. Doch man verständigte sich schnell. Manchmal brauchen Maya Fanke und Zhang Jiayi keine Übersetzer, um sich zu verstehen. Jeder spricht in seiner Sprache, und alles ist klar.

„Es gibt da ein chinesisches Sprichwort.“ Der Satz kommt von keinem Chinesen, sondern von der Projektleiterin, der Dramaturgin Maren Simoneit. „Zwei Menschen schlafen in einem Bett, aber jeder hat einen anderen Traum. Das war bei uns anders. Wir haben von Anfang an zusammen geträumt.“

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