Der Osnabrücker Schauspieler Laurenz Leky probt momentan in Russe. Dort inszeniert der junge bulgarische Regisseur Boian Ivanov EINE HEIKLE SACHE DIE SEELE von Dimitré Dinev. Am 6.4.2010 wird in Russe die Premiere stattfinden. Anbei einige Eindrücke von Laurenz:


Ich war schon krank aus Deutschland abgeflogen. Die Klimaanlage im Flugzeug und der noch strenge Winter, der mich hier empfing, gaben mir den Rest. Als ich am Donnerstagmorgen aufstehen wollte, um zur Probe zu gehen, hatte ich Kopfschmerzen, wie in meinem ganzen Lenben noch nicht. Schweren Herzens musste ich die erste Probe absagen.
Am Nachmittag rief Boian, mein Regisseur, an. Dina, eine ältere Kollegin, würde mich gerne heilen und zu diesem Zweck in meinem Hotelzimmer aufsuchen, ob ich etwas dagegen hätte. Was genau sie denn vorhabe, erkundigte ich mich vorsichtig. Boian druckste etwas herum. Nun ja, sagte er schliesslich, Dina beschäftige sich mit traditioneller bulgarischer Heilkunst. Sie werde mich ein bisschen massieren und … na ja, schaden koenne es eigentlich nicht. Da ich für ein Abenteuer immer zu haben bin und ausserdem der bulgarischen Zeichentrickfilme im Fernsehen überdrüssig war, willigte ich ein.
Am Abend kam Dina.
Nachdem sie Hut und Leopardenfelljacke abgelegt hatte, erklärte sie mir, dass sie mir als erstes die Gegenstände zeigen wolle, die sie fuer die Behandlung mitgebracht habe. Dabei werde sie mit den harmlosen Sachen anfangen und sich langsam steigern. Ich brauche keine Angst zu haben. Als erstes packte sie eine Orange aus. Über eine Packung Bouillon kam sie schliesslich zu einer stechend riechenden Pampe, deren Namen und Verwendungszweck ich nicht verstand, allerdings meinte ich, das Wort “Ayurveda” vernommen zu haben – oder hatte sie nur auf Deutsch “tut nich weh da” gesagt? Wie dem auch sei – mehr Sorge machte mir die undefinierbare, sperrige Form, die sich unter ihrer Plastiktüte abzeichnete und offenbar einen der Höhepunkte ihrer Präsentation bildete.
“Kommen wir nun zum vorletzten Gegenstand”, sagte Dina und schälte ein Gerät aus dem Plastik, dass aussah wie eine Mischung aus Motorsäge und Pürrierstab und eher an sowjetische Armeebestände als an Wellness erinnerte. “Keine Angst”, sagte Dina, “Massasch!” Die Tüte schien jetzt leer. Sie konnte allenfalls noch einen vergleichsweise kleinen Gegenstand enthalten. Eigenartigerweise war es gerade das, was mich beunruhigte. Ohne eine weitere Ankündigung versenkte sich Dina ein weiteres mal in die Tüte und stellte ein kleines Glas auf meinen Nachttisch: Echt bayrischer Weisswurstsenf! Als wäre Senf nicht schon schlimm genug, musste ich bei näherem Hinsehen jedoch erkennen, das das Glässchen mitnichten Senf enthielt, sondern eine durchsichtige Flüssigkeit, die roch wie Trabi mit Lebertran. “Gas! ” sagte Dina. Es stellte sich heraus, dass es sich tatsächlich um Gas handelte, wie man es in vorelektrischer Zeit für Lampen verwendet hatte. “Man bekommt es in jeder Autowerkstatt”, versuchte mich Dina zu beruhigen. Es enthalte ausschliesslich natürliche Substanzen und werde aus Erdgas und Schweinefett hergestellt. Sie habe das Rezept von ihrer Großmutter, im Krieg habe man es gegen Flöhe eingesetzt: “Das tötet alles ab”.
Was dann folgte war mehr ein Kneifen und Schlagen, als eine Massage im herkömmlichen Sinn. Mit vollem Körpereinsatz rieb Dina mir das Elixier, wie sie es nannte, unter die Haut. Sie klärte mich darueber auf, dass dabei das Gas verdunste und dreiundzwanzig verschiede Mineralien aus den Tiefen der Erde in meiner Haut zurueckblieben. Allerdings müsste man solange reiben bis die Haut trocken sei, denn wenn etwas von dem Gas übrig bliebe, würde ich buchstäblich verbrennen. Nachdem sie mich anschliessend noch mit dem frühsozialistischen Pressluftmassagekompressor bearbeitet hatte, wies sie mich an, vor dem Schlafengehen noch meine Füße mit dem Gas einzureiben. Allerdings müsse ich solange massieren bis die Haut trocken sei, ansonsten – “Ambulanz”. Zur Unterstreichung ihrer Mahnung erzählte sie mir noch die Geschichte eines Kommilitonen von ihr, der eine Geschlechtskrankheit mit dem Gas bekämpfen wollte und den bösen Folgen, die das Ganze für seine Männlichkeit gehabt hatte, nachdem er das Gas nicht hatte verdunsten lassen. Zum Schluss riet Dina mir noch ein paar Hemden zum Wechseln bereit zu legen, ich würde in der Nacht tüchtig schwitzen.
Ich schwitzte in der folgenden Nacht vier Hemden voll. Mein Hotelzimmer roch wie ein Boxenstop bei der Formel eins – aber ich schwöre: meine Nebenhöhlen waren am nächsten Morgen frei, die Kopfschmerzen weg, meine Füsse noch da und ich fühlte mich, als hätte ich einen Vulkan in meinen Adern.

Donnerstag, den 11.März 2010

Montag, 15. März 2010
Heute haben wir zum ersten Mal einen Teildurchlauf ohne Textbuch in der Hand gemacht. Es ist wie blind fliegen. Du verstehst kein Wort von dem, was die Kollegen sagen und versuchst, im Dunkel der bulgarischen Konsonanten nicht die Orientierung zu verlieren. Wenn du einen Augenblick nicht aufpasst, stürzt du ab.
Im Laufe des Stückes werden die Figuren immer betrunkener. Die bulgarischen Kollegen können das wahnsinnig gut. In allen verschiedenen Trunkenheitsgraden, mit sehr feinen Abstufungen. Ich werde noch ausführliche Feldstudien durchführen müssen, bevor ich auf diesem Niveau mithalten kann. Na sdrawe!

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