Im Theater 3. Stock hat P14, das Jugendtheater der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz unter Leitung von Vanessa Unzalu Troya , in dieser Spielzeit Quartier bezogen. Eine klapprige Bühne, ein weißer Raum im Raum wurde installiert, über einer Tür steht „Empört uns!“. P14 hat sich ein Laboratorium gebaut für das Spiel mit Themen und szenischem Material. Die Einladung zum Mitmachen ist  wunderbar einfach: Kommt mit dem, was ihr habt! steht auf der Website.

Im Januar wurde die „Ich-mach-nicht-mehr-mit-Trilogie“ vorgestellt, entstanden in Auseinandersetzung mit Bertolt Brechts Material „Fatzer“ und aufgeführt im Rahmen der Theaterpartnerschaft der Volksbühne mit dem Teatro Stabile di Torino.

In der Regie von Lisa Brüning entwickelten Immanuel Ayx, Yannick Fischer, Friederike Hirz, Sten Jackolis, Anna Krell und Anna Matz Teil 1 der Trilogie, in dem es um Individualität und Egoismus, um Fleisch und Körper, um Wert und Verwertbarkeit, um Selbstdarstellung und Humankapital, um die Sehnsucht, nach Hause zu gehen und den inneren Kriegszustand ging, aus dem schwer zu desertieren ist : Wir müssen einen klaren Kopf behalten, ruhig bleiben, uns etwas Gutes tun. Wir müssen durchhalten. Wir müssen uns schmücken, präsentieren und darstellen. Wir müssen echt sein. Wir müssen jemand sein, überall. Wir müssen anders sein. Wir müssen wir selbst sein und dieses Selbst vertreten… um jeden Preis. Und wir haben’s im Griff. Das müssen wir auch. Denn wir sind das Fleisch.

Jetzt wurde „Ich-mach-nicht-mehr-mit-Trilogie Teil I: Fleisch“ von P14 als eines von 8 Siegerprojekten zum 33. Theatertreffen der Jugend eingeladen. Das Festival findet vom 25. Mai bis zum 2. Juni in Berlin statt. http://blog.theatertreffen-der-jugend.de/

Wir wünschen P14 maximalen Erfolg, aber mehr noch: Viel Spaß!

Die im Rahmen der Theaterpartnerschaft zwischen der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin und dem Teatro Stabile di Torino in der Regie von Fabrizio Arcuri entstandene Produktion “Fatzer Fragment. Getting Lost Faster” wurde zum Festival Chantiers d’Europe an das Théâtre de la Ville in Paris eingeladen! Das europäische Festival findet im Juni dieses Jahres zum dritten Mal statt und stellt neue Theaterformen und -ästhetiken aus Europa vor.

“Fatzer Fragment. Getting Lost Faster” ist eines der Resultate des deutsch-italienischen Projekts “Fatzer geht über die Alpen”, das sich der Auseinandersetzung mit Bertolt Brechts überbordender Materialsammlung “Fatzer” widmete, die Heiner Müller als “Jahrhundertfragment” bezeichnete.

“Fatzer” geht in diesem Jahr also nicht nur “über die Alpen”, sondern viel weiter – auch wenn die Weite manchmal örtlich nahe liegt: René Polleschs mit Fabian Hinrichs erarbeitete Produktion “Kill Your Darlings” wurde bereits zum Theatertreffen 2012 eingeladen und die “Ich-mach-nicht-mehr-mit-Trilogie” des Jugendtheaters p14 der Volksbühne wird als eine von 8 herausragenden Produktionen beim Theatertreffen der Jugend 2012 zu erleben und zu diskutieren sein.

Nun erobert Fatzer Paris! Wir freuen uns über die Einladung von “Fatzer Fragment. Getting Lost Faster” und wünschen dem Team um den Regisseur Fabrizio Arcuri und dem Teatro Stabile di Torino viel Erfolg!
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Abb: Daniel Josefsohn

Rund 430 Inszenierungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden in den vergangenen Monaten von der Theatertreffen-Jury gesichtet und diskutiert. Auf der Schlusssitzung am gestrigen Donnerstag, 16. Februar, haben die sieben Theaterkritikerinnen und -kritiker ihre Auswahl der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen der letzten Saison getroffen. Darunter ist auch die Inszenierung “Kill your Darlings! Streets of Berladelphia” von René Pollesch, die im Rahmen der Wanderlust-Partnerschaft zwischen der Volksbühne Berlin und dem Teatro Stabile in Turin entstand. Das Stück hatte erst kürzlich, am Freitag den 10. Februar, seine Uraufführung in Italien (dazu der Blogbeitrag von Tobi Müller). Hier die Begründung der Theatertreffen-Jury:

„Kill your Darlings“ stützt sich auf das flexibelste Netzwerk der Theatersaison: Ein Bewegungschor junger Berliner Turnerinnen, den der Solo-Akteur Fabian Hinrichs grinsend als „Chor der Kapitalisten“ vorstellt, weiß jedweden Ausstiegsversuch feinakrobatisch zu vereiteln. Nicht nur klug, sondern auch bestechend lässig stößt sich René Pollesch von Bertolt Brechts „Fatzer“-Fragment ab und deutet das extrem störanfällige Verhältnis des Individuums zum Kollektiv unter heutigen Vorzeichen um. So prägnant und gleichzeitig ebenenreich kam noch keiner vom „Untergang des Egoisten Fatzer“ zum unmöglichen Abgang des Individualisten Hinrichs. Denn Brechts Arbeiterchor- und Klassenkampf-Rhetorik mitsamt ihren Ausläufern ins Gegenwartstheater ist nur eine mögliche Folie, auf der man den komplexen Abend lesen kann. Auf einer zweiten, einer visuellen Ebene, setzen sich klassische szenische Zitate zu einer Art Retrospektive theatraler Repräsentations- und Revolutionsanstrengungen schlechthin zusammen. Auf einer dritten Ebene packt uns Pollesch bei unserem ausschließlichen Liebesbegehren, und auf einer vierten seilt sich der grandiose Fabian Hinrichs, der dem Pollesch-Sound völlig neue Töne abgewinnt, diskursfit vom Schnürboden ab. Dass der Netzwerksport bei aller Metaebenen-Akrobatik auch noch zuverlässig als Antidepressivum wirkt, ist zwar keinesfalls politisch korrekt. Aber es ist großartig.”

Mehr dazu im Blog des Theatertreffens: www.theatertreffen-blog.de

Außer Atem drehe ich mich um die eigene Achse und suche den Eingang (s. letzer Blogeintrag). Ich bin, was ich nie bin im Theater: zu spät. Im Foyer steht ein stattlicher Mann in Uniform, der jeden Nacheinlass verbietet. Jeden? Das kann nicht sein, nach Turin gereist und das Pollesch-Gastspiel verpasst. Was für ein Klischee, zu meinen, in Italien problemlos zu spät sein zu können. Aber da kommt Mario Martone, ein berühmter Filmregisseur und der Stiftungsdirektor des Teatro Stabile. Er ist genau so spät dran! Die Uniform bleibt erst hart. Das Zauberwort heißt „Capo“, Chef. Mario Martone wiederholt es oft. Er ist der Chef, aber auch ich bin der Chef, nämlich der Bundeschefkulturstiftung oder so. Martone bleibt in Bewegung, redet, geht rein, kommt raus, schleust uns alle rein, während er weiter redet. Die Uniform redet auch, rudert mit den Armen, aber nun bereits abwehrend. Keiner verliert das Gesicht, denn wir haben ja darüber geredet. Nun kann es wirklich losgehen.

Fabian Hinrichs und das Netzwerk.

Drinnen zieht der Schauspieler Fabian Hinrichs gerade den Vorhang auf, der eine Paraphrase auf Brecht darstellt. „Kill Your Darlings – The Streets of Berladelphia“, der Pollesch-Abend aus der Volksbühne in Turin, die italienischen Übertitel blinken auf der LED-Anzeige. Und der Chor schwirrt um Hinrichs herum, junge Turnerinnen und Turner aus Berlin. „Ich dachte, du seist ein linkes Kollektiv, aber du bist ein Netzwerk!“ schmettert Hinrichs dem stummen Körperschwarm entgegen. Oder: „Das Netzwerk will Beziehungen führen. Aber das kannst Du gar nicht, Du bist zu viele!“ Fast am Anfang der Gassenhauer des Abends, der im kulturalisierten Berlin gerade zum Tresenwitz avanciert: „Nein, ich will nicht mit Dir ins Bett, Du bist ein Netzwerk!“
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Fatzer ist über die Alpen gegangen. Nach den Fatzer-Festspielen in Berlin, ist Brechts von Widersprüchen nicht nur besoffene, sondern bis in die Form verwundete Fragment über vier Kriegsdeserteure in Turin angekommen. Für das Teatro Stabile, kein kleines Theater, ist dieser Austausch wichtiger als für die Volksbühne in Berlin, das kriegt man vor Ort sofort vermittelt. Man giert nach Austausch. In Italien sind die Theater angewiesen auf kleine Tourneen, sonst sind die Produktionen manchmal nach zwei Aufführungen schon weg. Und der Ruf der Volksbühne reicht mindestens bis nach Turin, besonders jener von Frank Castorf (den man in Berlin leider nicht zu Gesicht bekommen habe, sagen manche der überaus höflichen Italiener). Und auch wenn man das in den in den unter Druck geratenen Schauspielhäusern nicht gerne hört: Die Verhältnisse, um anspruchsvolles Theater zu machen und darüber nachzudenken, sind in Deutschland einmalig. Soweit der materialistische Kunstrahmen für die Fatzer-Begeisterung der Torinesi.

Turin in Technicolor

Nicht jeder Grund für die Turiner Fatzeriade leuchtet sofort ein, wenn man als Tourist, noch benommen vom sonnigen Alpenflug, im verschneiten Turin eincheckt. Der Stein, der Marmor, die Boulevards, die Plätze, diese ganze unzerstörte Baumasse der letzten zweihundert Jahre, und immer wieder: die nahen Alpen. Turin erscheint reich und schön und auf den Straßen gibt es überall Bücher zu kaufen. Was will man da mit diesem Brecht, der im Fatzer wie der Teufel ringt mit der Dynamik von Individuum und Gemeinschaft wie später nie mehr so deutlich, so experimentell, so unfertig, so verzweifelt?
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