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Über die vergangenen sechs Monate im Wanderlust Blog

Sechs Monate Wanderlust Blog liegen hinter uns. Viele Theater – und somit auch unsere Theaterpartnerschaften – machen gerade eine Sommerpause. Zeit, einen Blick zurückzuwerfen: Gestartet sind wir im Februar 2010 mit dem Vorhaben, die 28 internationalen Theaterpartnerschaften des Fonds Wanderlust während ihrer gemeinsamen Arbeit kennenzulernen und sie bei Koproduktionen und Gastspielen, beim Mitarbeiteraustausch, bei Workshops und Proben zu begleiten.

Viele von ihnen haben vom Fortlauf ihrer Kooperation im Blog berichtet. Sei es als Reisetagebuch von einer Forschungsreise in Burkina Faso, mit Soundcollagen, die im Rahmen einer Stückrecherche im rumänischen Sibiu entstanden, oder mit einer Videoserie über das Entstehen der ersten gemeinsamen deutsch-russischen Koproduktion.

“I know you when I eat what you eat”

Am Anfang stand für viele die Frage: Wie gestaltet man den Beginn der Arbeit? Wie schafft man eine gute, kreative Arbeitsatmosphäre? Wie lassen sich sprachliche und bürokratische Hürden überwinden und was folgt nach dem Entschluss, über zwei oder drei Spielzeiten gemeinsame Theaterprojekte zu entwickeln?

Das Theater Paderborn musste zu Beginn die auf den ersten Blick simple, bei Betrachtung der genauen Umstände jedoch durchaus komplizierte Aufgabe bewältigen, die Förderzusage an ihr Partnertheater im chinesischen Qingdao zu übermitteln: “In China fällt man nicht mit der Tür ins Haus, es ist eine blumige Sprache, deren Ziel man über den indirekten Weg erreicht. Ein Spielzeitheft in China verweist so nicht auf die kommende Spielzeit, sondern das Spielzeitheft erzählt davon, welche ‘Fußspuren’ das Theater in der vergangenen Spielzeit hinterlassen hat.” Aller hierarchischen und bürokratischen Hindernisse zum Trotz gelang zum Schluss jedoch das “Wir Gratulieren, wir sind dabei”.

Das Mannheimer Kinder- und Jugendtheater Schnawwl leitete den gemeinsamen Workshop in Deutschland mit einem großen Festessen ein und folgte damit einer Empfehlung der künstlerischen Leiterin Arundhati Nag vom indischen Partnertheater Ranga Shankara: “I know you when I eat what you eat“. Und auch die Ensemblemitglieder des Hallenser Puppentheaters waren um einen gelungenen Auftakt ihrer deutsch-französischen Kooperation bemüht und schrieben: “Gute Freunde hatten uns vorbereitet: Franzosen haben eine Eigenart, die man berücksichtigen sollte. Sie legen wert darauf, dass zu Beginn einer gemeinsamen Arbeit eine flirrende Atmosphäre gestiftet wird! Wir kochten, zogen weiße Tischtücher auf und tafelten auf einer Terrasse, von der aus wir über die halbe Stadt sehen konnten”, bis ihre Gäste, “Joel Pommerat und seine Compagnie Louis Brouillard unruhig (wurden). Sie wollten endlich auf die Bühne!”

“das Geschichtenerzählen ist das eigentlich Entscheidende hier”

Verschiedene Arbeitsweisen – von ihnen wurde häufig berichtet in den Blogeinträgen. Während Laurenz Leky vom Theater Osnabrück als Gastschauspieler am bulgarischen Drama Theater in Russe feststellte: “Was die Probenarbeit betrifft, ist es eigentlich genauso wie bei uns”, machte man bei der Theaterpartnerschaft zwischen Erlangen und Sankt Petersburg die Erfahrung: “Manchmal prallen wirklich Kulturen, Temperamente, Vorurteile und Klischees aufeinander“. Wo aber verläuft die Grenze zwischen Vorurteil und kultureller Eigenheit? Können diese Eigenheiten für die Arbeit genutzt werden und wie lässt man sich auf andere Strukturen und ein anderes Miteinander ein?

Als sich Autorin Petra Paschinger vom Mainfranken Theater Würzburg im März 2010 auf den Weg nach Ouagadougou in Burkina Faso begab, um für das gemeinsame Stück zu recherchieren, machte sie die Feststellung, “dass das Geschichtenerzählen hier das eigentlich Entscheidende ist.” Und zu den unterschiedlichen Auffassungen von “Arbeit” bemerkte sie: “Arbeiten bedeutet hier in Burkina immer auch Kommunikation, Begegnung, Austausch. Meine Begeisterung, den ganzen Nachmittag still im Büro des Goethe-Instituts zu verbringen und an meinem Laptop zu arbeiten, lässt sich für die hiesigen Kollegen kaum verstehen. Kontakte sind das zentrale Element hier.”

Oft markieren sich Unterschiede auch in der Spielweise. Über die “russische Spielweise” drückte das Regisseur Ralf Siebelt von der Theaterpartnerschaft Tübingen – Petrozavodsk mit wenigen Worten aus: “Weniger grübeln, mehr spielen.” Und als das Stary Teatr aus Krakau im Juni 2010 zu Gast am Berliner Maxim Gorki Theater war, stellte eine Zuschauerin des Gastspiels “Czekajac na Turka” im Anschluss begeistert fest: “Ich habe ein Zusammenspiel gesehen, das nicht vom Kopf, sondern vom Herz gesteuert war. Das gibt es bei uns nicht viel zu sehen.”

“Sprache ist wichtig – keine Frage – aber vielleicht doch nicht alles?”

Wie funktioniert Sprechtheater, wenn die Beteiligten unterschiedliche Sprachen sprechen? Wie inszeniert man gemeinsam Stücke? Wie verständigt man sich? Eine Herausforderung ist sicherlich das Vorhaben des Theaters Würzburg, bei dem das Erlernen der Sprache des Partnertheaters – Mooré, die Landessprache Burkina Fasos – Teil der Kooperation ist.

Während der Proben zur deutsch-russischen Koproduktion “SumSum²” des Theaters Erlangen mit dem Teatr Pokoleniy schlug Valya, der russische Regisseur, einen anderen Weg ein und beschloss, “er vertraue jetzt mehr seinen Augen als seinen Ohren. Sprache ist wichtig – keine Frage – aber vielleicht doch nicht alles?”

“der türkische George Clooney”

Internationale Theaterkooperationen bedeuten häufig auch, über den Austausch von Gastspielen ausländische Produktionen erstmals zu einem Publikum nach Deutschland zu bringen, das mit dem Herkunftsland eng verbunden ist. So geschehen im Rahmen der Theaterpartnerschaft zwischen dem Theater Freiburg und der garajistanbul beim Auftritt Mehmet Ali Alaboras in Freiburg, den man sich “ruhig als einen türkischen George Clooney vorstellen” kann und der zahlreiche türkischstämmige Freiburger ins Theater lockte. Und auch beim Gastspiel “Czekajac na Turka” des Stary Teatr aus Krakau in Berlin saß “viel polnisches Publikum … in der Vorstellung und brauchte nicht die deutschen Übertitel, um ihr zu folgen”.

“vor dem Tor zur Kreativität steht ja bekanntlich Pein und Qual drüber”

Erst in der konkreten Zusammenarbeit kristallisiert sich für viele Theater heraus, welche Sonderstellung das deutsche Stadttheatersystem doch gegenüber ausländischen Formen der Theaterorganisation einnimmt, zum Beispiel der Großbritanniens, über die Lajos Talamonti von der Theaterpartnerschaft Berlin – Leeds anmerkte: “Ästhetisch merkt man eben doch, dass dort alles privatwirtschaftlich organisiert ist. Es gibt so ein dienstleisterisches Selbstverständnis, der Unterhaltungsaspekt steht im Vordergrund. Sie haben einen größeren Legitimationszwang als wir hier, die wir uns als künstlerische Produktionsstätte begreifen, und vor dem Tor zur Kreativität steht ja bekanntlich Pein und Qual drüber und nicht Spaß und Lockerheit.”

Ausblick Spotlight

Ab August 2010 wird es eine neue Reihe im Wanderlust Blog geben, das Spotlight. Darin wollen wir Themen und Debatten aufgreifen, die für viele Wanderlust-Kooperationen zentral sind und sie bei ihrer Arbeit begleiten. Das erste Spotlight mit dem Titel “Lost in Translation” wird sich mit Mehrsprachigkeit auf der Bühne beschäftigen und wir hoffen, mit dieser Themensetzung noch tiefgehender und vielschichtiger in die Herausforderungen und Möglichkeiten internationaler Theaterarbeit vorzudringen.

Mehr als sonst ist der Weg das Ziel” im Fonds Wanderlust. Wir freuen uns auf die kommende Spielzeit und sind gespannt auf neue Berichte aus Krakau, Leeds, Tel Aviv, Turin, Leiden, Zagreb, Kopenhagen, Saratow, St. Petersburg, Istanbul, Jelenia Góra, Saran, Paris, Blantyre, Dschenin, Bangalore, Helsinki, Sibiu, Ghent, Russe, Qingdao, Szczecin, Barcelona, Bologna, Petrozavodsk, Bydgoszcz und Ouagadougou!

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