Die Theaterpartnerschaft Druschba des LTT mit dem Karelischen Nationaltheater Petrozavodsk hat uns schon einige Erfahrungen und Begegnungen geschenkt: die Inszenierung AM STADTRAND von Aleksandr Vampilov des russischen Intendanten Sergej Pronin und ein abwechslungsreiches „Wochenende zur zeitgenössischen russischen Dramatik“. Derzeit ist unser Hausregisseur und Initiator des Austausches, Ralf Siebelt, in Russland und inszeniert mit dem dortigen Ensemble KABALE UND LIEBE von Friedrich Schiller.

Am kommenden Samstag, den 06.03. feiert die russische Inszenierung des deutschen Klassikers in Petrozavodsk Premiere. Vom 26. bis 28.03. gastiert die Produktion hier am LTT: Die Aufführung findet in russischer Sprache statt und wird simultan übersetzt. Im Gegenzug macht sich unser Ensemble auf in den russischen Norden und zeigt dort vom 01.04. bis 03.04. die Komödie AM STADTRAND, eingebunden in ein „Wochenende deutscher Gegenwartsdramatik“ mit szenischen Lesungen, die die russischen Schauspieler in Petrozavodsk erarbeiten werden.

LTT-Hausregisseur Ralf Siebelt im Karelischen Winter

LTT-Hausregisseur Ralf Siebelt im Karelischen Winter

Per “Skype” halten wir Kontakt zu unserem Kollegen Ralf Siebelt im hohen russischen Norden …

Hallo Ralf, wir haben hier gerade mal nach den Temperaturen in Petrozavodsk geforscht. Minus zehn Grad. Das ist ja um einiges wärmer geworden … Angekommen bin ich bei minus 30 Grad. Das war gewöhnungsbedürftig. Inzwischen finde ich: Der Winter hier ist eine großartige Jahreszeit. Klares Wetter, knackige Kälte, und die verschneiten Landschaften sind wunderschön. Nicht umsonst kennt die russische Sprache sehr viele Kosenamen für den Winter.

Du hast ja bereits Brecht und Turrini auf Russisch inszeniert. Jetzt KABALE UND LIEBE von Friedrich Schiller. Wie ist es, sich mit dem Inbegriff deutscher Klassik als Deutscher in einer Fremdsprache zu beschäftigen? Sehr spannend. Schiller geht nicht kaputt. Diese Sprache lebt auch in der Fremdsprache als ganz eigenwillig, rhythmisch, groß weiter. Wir haben eine Übersetzung aus den siebziger Jahren gewählt. Sie versucht den sprachlichen Wahnsinn von Schiller ins Russische zu übertragen, weniger eins zu eins zu übersetzen. Das geht ja gar nicht. Aus “Da liegt der Has’ im Pfeffer” wird im Russischen das Bild eines eingebuddelten Hundes, was man im Deutschen so nicht sagen würde. Die poetische Kraft – und das ist toll – bleibt im Russischen erhalten.

Ist es ein Vorteil für die Schauspieler, dass du Deutscher bist? Ganz sicher ja. Der Konflikt in diesem Stück ist ein urdeutscher. Diese Art Generationenkonflikte auszutragen, das Aufbegehren gegen die Eltern, der Begriff von Freiheit – das kommt so in der russischen Literatur nicht vor. Da merke ich die unterschiedlichen Kulturen schon sehr und kann vermitteln.

Wie klingt Schiller auf russisch? Sehr schön.

Gibt es einen Unterschied zwischen den russischen und den deutschen Spielern? Weniger grübeln, mehr spielen. Schauspieler übernehmen weniger Gesamtverantwortung für die Geschichte, schmeißen sich aber mit aller Kraft in die eigene Rolle. Sie interessieren sich vor allem dafür: “Wie spiele ich das?” Und weniger dafür: “Warum spiele ich das?” Die Wege sind eher emotional, die man mit den Spielern geht, weniger analytisch, mehr spielerisch.

Der Umgang mit Klassikern ist am russischen Theater eher traditionell. Nun gehst du zusammen mit dem Bühnenbildner Max Julian Otto KABALE UND LIEBE ja doch sehr modern an. Wie reagiert man denn auf das deutsche Regietheater? Die lassen sich hier auf alles ein. Eine sehr symbolhafte karge Ausstattung ist hier erst mal fremd, wird aber neugierig aufgenommen. Und da ich nicht zum ersten Mal hier bin, kennt man meine Ästhetik und Fantasie schon ein bisschen. Die Schauspieler freuen sich über neue Ansätze, über eine andere Art, die Dinge zu betrachten. Und dann bin ich ja auch kein typischer Vertreter des deutschen Regietheaters.

Am 6. März habt ihr in Petrozavodsk Premiere, am 26. März ist deine Inszenierung und das russische Ensemble dann zu Gast im LTT. Freuen sich die Kolleginnen und Kollegen auf die Reise nach Tübingen? Ja, natürlich. Sie sind gespannt auf die Stadt, auf die alte Geschichte, die Architektur. Petrozavodsk ist ja vergleichsweise jung: etwas mehr als 300 Jahre. Und auf das Theater und die Kollegen freuen sie sich auch sehr. Und auf das Publikum natürlich, das hoffentlich ins LTT strömt, um sie zu sehen.

Auch die russische Komödie AM STADTRAND (“Der ältere Sohn”) von Aleksandr Vampilov, die bereits zur diesjährigen Spielzeiteröffnung Premiere hatte, läuft noch erfolgreich am LTT. Nächste Termine sind: 12.03., 14.04. und 18.04.

Das Team von AM STADTRAND

Die lokale Presse kommentierte: “Das von Aleksandr Vampilov geschriebene Stück gibt sich von seinen Figurenkonstellationen durchaus boulevardesk. Die russische Gemütlichkeit, ihr Bekenntnis zu Freundschaft – sie sind hier auf anrührende Weise dargestellt, das Stück selbst ein wundervoller Spielplatz für die LTT-Darsteller, ihr komödiantisches Potenzial zu zeigen.” (Gäubote, 7. November 2009), “Aleksandr Vampilovs ‘Am Stadtrand’ nun ist ein Stück, das ein seltenes Kunststück fertigbringt: Verächter modernen Theaters hätten ihre Freude daran, aber auch für begeisterte Theatergänger könnte diese Inszenierung eine Herzensangelegenheit werden. Wie das? ‘Am Stadtrand’ spielt mit dem Naturalismus, tut harmlos, als wär’s Spielzeugwelt oder naive Malerei, verfügt aber jederzeit über eine liebenswert ironische Distanz, ohne das Gezeigte dadurch zu verraten – und weiß augenzwinkernd um unser Einverständnis. Was hier im kleinmalenden Komödienstil verhandelt wird, ist erst sehr charmant und rührend, am Ende sogar: groß, ergreifend, schön.“ (Schwäbisches Tagblatt, 28. September 2009)

Der Trailer vermittelt einen kurzen Eindruck der Inszenierung:

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Ende Oktober 2009 ging die Theaterpartnerschaft “Druschba” in ihre nächste Etappe, dem “Wochenende russischer Dramatik” mit szenischen Lesungen, Podiumsdiskussionen und mehr. Als weitgereiste Gäste kamen der Chefdramaturg des Karelischen Nationaltheaters Petrozavodsk Dmitri Svintsov, um über die aktuelle russische Theaterlandschaft zu berichten, und der erfolgreiche Dramatiker Oleg Bogaev aus Jekaterinburg. Geboten wurde ein ausschnitthafter Einblick in die Vielfalt russischer Gegenwartsdramatik mit einzelnen Szenen aus Stücken von Oleg Bogaev (“Russische Nationalpost”), Elena Isaeva (“Dok.Tor”), Jurij Klavdiev (“Gehen wir, der Wagen wartet”) und Sergej Medvedev (“Irina – Eine Friseuse” und “Die Kröte”). Die Übersetzerin und Theaterregisseurin Elina Finkel setzte das von ihr übersetzte Stück “Irina – Eine Friseuse” von Sergej Medvedev mit unseren Schauspielern spielerisch und fantasievoll als szenische Lesung um. Visuell wurde die Veranstaltung von Rüdiger Schestags Fotografien “living spaces – Menschen aus Petrozavodsk und Samara” umrahmt.
Ein sinnliches, informatives Tagesprogramm nicht nur für Liebhaber russischer Lebensart und Literatur!

Irina - Eine Friseuse // Lesung

Irina - Eine Friseuse // Lesung

Das Schwäbische Tagblatt schrieb dazu: “Den Charakter des zeitgenössisch-russischen Theaters galt es im Anschluss in vier szenischen Lesungen zu entdecken. Darunter war ‘Russische Nationalpost’ von Oleg Bogaev – der Autor saß selber im Publikum. Auch zu sehen: ‘Die Kröte’ von Sergej Medvedev – hier war die Übersetzerin Elina Finkel anwesend. Es wurde herzlich gelacht, was Svintsov – Chefdramaturg am Nationaltheater von Karelien in Petrozavodsk – in der folgenden Diskussion überrascht kommentierte: ‘In Petrozavodsk spielt man das Stück emotional.’ Die deutsche Art, leicht und ironisch gebrochen, biete ein neues Herangehen.” (Schwäbisches Tagblatt, 2. November 2009)

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