Nach einem missglückten Versuch, per Taxi das Goethe-Institut zu finden, lasse ich mich ins Centre Culturel Francais fahren. Auch dort kann man ins Internet und ich fühle mich sicher vor den Übergriffen der Händler, die es heute vermehrt auf mich abgesehen haben. Zu unrecht: denn kaum habe ich mich gesetzt, meinen Computer aufgeklappt und eine Cola bestellt, sitzt schon Abdullah neben mir. Obwohl er felsenfest behauptet, mir nichts verkaufen zu wollen und mir, da er Muslim sei, auch nicht zu nahe kommen wolle, spricht er zwei Sekunden später schon davon, mich seinem Vater vorzustellen, der zufällig auch der Hersteller von – zumindest für burkinische Verhältnisse – deutlich überteuertem Silberschmuck ist und der mich umso heftiger ins Herz schließen würde, je mehr von dem Schmuck ich kaufen wolle. Wenn mir der Schmuck nicht gefalle, hätte er hier auch noch ein Blechauto aus alten Tomatenbüchsen, wirklich schön für Kinder. Eines habe ich mittlerweile schon gelernt: stures Verweigern bringt hier gar nichts, nicht einmal das konzentrierte Ignorieren und Weiterarbeiten am Computer. Oft geht es nicht einmal den aggressivsten Händlern ums Verkaufen, sondern vielmehr um gute Geschichten. So werde ich auch Abdullah los, indem ich ihm ein anrührende, aber natürlich freu erfundene Geschichte erzähle, warum ich seinen Vater diesmal leider nicht kennen lernen und auch nichts kaufen könne. Das versteht er. Besonders wenn die Geschichte auch noch ein bisschen ironisch und daher unterhaltsam ist – wenn man also gemeinsam lachen kann –, dann hat man schon gewonnen. So haben der nachfolgende Händler, Moussa, und ich viel Spaß: er will mir nämlich unbedingt entweder ein Tischtuch oder ein Babylätzchen verkaufen. Ich will keines von beiden, zumal er mir an Designs für das Tischtuch präsentiert: Bob Marley in pink, gelb oder orange, grüne gestickte Palmen auf blauen Meereswellen oder blaue Kaffeekännchen mit knallfarbenen rosa Rosen. Um die Babylätzchen ist es nicht viel besser bestellt, auch wenn hier Bob Marley fehlt. Am Ende singen wir beide „No woman no cry“ (oder eigentlich singt er und ich schunkle ein bisschen dazu), dann lädt er mich noch abends zu einem Konzert ein und geht zufrieden an den nächsten Tisch weiter, ohne dass ich ihm etwas abgekauft hätte.
Geschichten funktionieren immer, besonders, wenn sie tragisch sind. Nicht umsonst haben die meisten Händler selbst tragische Schicksale aufzuweisen: der aus Mali eigens zum Verkauf des Schmuckes hergekommene Targi, der nicht in seine Heimat zurückkehren kann, wenn er nicht durch den Verkauf wieder zu Geld kommt, der Mann, der seine 7köpfige Familie nicht ernähren kann und und und. Auch abends, als ich mit dem Taxi ins C.I.T.O. fahren möchte, mache ich die Erfahrung, dass das Geschichtenerzählen hier das eigentlich entscheidende ist. Da ich an diesem Abend zum ersten Mal erhebliche Schwierigkeiten habe, ein Taxi zu finden, das mich zu normalen Preisen (und nicht den Preisen für europäische Touristen) mitnimmt. Man muss dazu sagen, dass die meisten Taxis in Ouagadougou alte, zerbeulte bis auf ihre Grundelemente ausgehöhlte und auch im Inneren von einer dicken roten Staubschicht bedeckte grüne Peugeots oder Renaults sind. die mehrere Passagiere zugleich befördern. Man bezahlt dafür – je nach Länge der Strecke – 200 bis 600 CFA, nachts auch schon einmal 1000. Fahren alle Passagiere in eine andere als die von einem selbst gewünschte Richtung, ist es durchaus möglich, dass der Taxifahrer die Beförderung ablehnt und einen am Straßenrand stehen lässt. Man bleibt also weiter stehen und hofft und wartet auf die nächste Gelegenheit.
Heute abend ist das Unternehmen besonders zäh. Endlich finde ich eines mithilfe zweier junger Männer, die mich an der Straße stehen sehen und sich dank einer von mir eigens erfundenen tragischen Geschichte davon abbringen lassen, mich zum Tanzen einladen zu wollen, sondern mir statt dessen ein Taxi besorgen. Allerdings muss der Fahrer erst noch kurz, wie er behauptet, eine Ladung ausliefern, die seinen gesamten Kofferraum ausfüllt. Nichtsahnend lasse ich mich auf die Aktion ein – was soll ich auch machen: ich habe schon erfolglose 20 Minuten am immer dunkler werdenden Straßenrand hinter und noch einen Termin im Theater vor mir: Zuerst soll ich dort dem Commitee artistique des C.I.T.O., also einer Abordnung des künstlerischen Personals, unser Projekt besprechen. Im Anschluss darf ich dann eine der Endproben zur aktuellen Produktion „Gombo Noir“ (eine Übertragung von Gogols „Revisor“ auf afrikanische Verhältnisse) des Schweizer Regisseurs Roger Nydegger besuchen.
Bis es soweit ist, habe ich aber noch eine einstündige Taxifahrt ins freie Land hinter Ouagadougou vor mir – mit vielen Geschichten und zusehends besorgter werdenden Nachfragen von meiner Seite, wie weit es denn noch sei und dem immer deutlicher werdenden Hinweis, dass ich DRINGEND ins C.I.T.O. müsse, das ja in der anderen Richtung liege. Der Fahrer hingegen lächelt weise (oder auch nur genervt), lässt sich von meiner europäischen Unruhe nicht ansteckenden und erklärt mir wortreich und sehr glaubhaft mindestens eine halbe Stunde lang, dass das Ziel gleich um die Ecke liege.

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