Kurz vor der Premiere kam die Nachricht von der Ermordung von Juliano Mer-Khamis. Und man denkt, es müsste eigentlich viel mehr Worte für “Grenze”, “Grenzen”, “Grenzgänger” und so weiter geben. Unsere ganze Welt basiert auf der Tatsache, dass Dinge voneinander unterschieden werden, und doch spricht man bei allen Versuchen, sie wieder zu verbinden, stereotyp davon, dass “Grenzen überschritten werden” – vom Kind, das sich drei Gummibärchen nimmt, obwohl nur eines erlaubt ist, bis zum Theatermacher, dessen Vorstellung von Freiheit sich keinem politischen Lager zuschlagen lässt. Stephanie Doetzer schreibt in ihrem Nachruf auf den Leiter des Freedom Theatre Jenin auf qantara.de:

“Mer-Khamis wurde so sehr mitten in den Nahostkonflikt hineingeboren wie kaum ein zweiter: Sohn einer israelischen Jüdin und eines palästinensischen Christen, der Vater Kommunist, die Mutter Friedensaktivistin. Beide landen für ihr politisches Engagement zeitweise im Gefängnis, ziehen mit dem Sohn nach Russland und in die damalige DDR. ‘In Moskau war ich ein dreckiger Jude, in Israel ein dreckiger Araber’ – so lautet Mer-Khamis’ lakonische Zusammenfassung seiner Kindheitserfahrung.” Juliano Mer-Khamis wurde am Montag “mit mehreren Schüssen in Kopf und Herz (…) regelrecht hingerichtet”, berichtet Hans-Christian Rößler auf faz.net.


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von Anne Paffenholz, Dramaturgin & Theaterpädagogin

Tour Guides at the Border Control: Borderlines-Werkstatt-Präsentation am West Yorkshire Playhouse in Leeds (April 2010)

Da man ja am Jahresende gerne dazu neigt, das zu Ende gehende Jahr in Rückblicken Revue passieren zu lassen, hier eine Rückblende auf’’s vergangene Frühjahr:

Im April dieses Jahres bin ich mit zehn Jugendlichen (zwischen 16 und 20 Jahren) nach Leeds gefahren. Vor uns lag die zweite Borderlines-Werkstattwoche mit den gleichaltrigen Jugendlichen aus Leeds. Im Oktober 2009 hatten wir schon eine Woche zur Berliner Mauer gearbeitet. Diesmal sollte die Grenzrecherche auf weitere Aspekte (persönliche, soziale, kulturelle Grenzen) ausgedehnt werden.

Mindestens zwei Teilnehmer machen ihre Grenz-Erfahrungen im wahrsten Sinne des Wortes bereits vor bzw. während der Reise: Ein Jugendlicher fliegt das erste Mal und ist erstaunt, wie aufwendig die Abfertigung und die Sicherheitskontrollen sind. Die Schere in seinem Handgepäck wird zwar gefunden, aber er darf sie erstaunlicherweise trotzdem mitnehmen (wir brauchen sie später, um den eingeschweißten Kuchen im Lunchpaket aus der Plastikverpackung zu lösen). Eine andere Teilnehmerin wusste bis einige Tage vor dem Abflug nicht, ob sie dabei sein kann oder nicht: Sie braucht ein Visum. Das trifft am letzten möglichen Tag endlich ein – nach vielen Telefonaten, einem Termin in der britischen Botschaft, der Beantwortung von 97 Fragen, der Bezahlung einer beträchtlichen Gebühr und Vorlage der Verdienstbescheinigung der Eltern über die letzten drei Monate. Bei der Ankunft am Flughafen Liverpool muss sie sich am Schild “UK Border” (das man leider nicht fotografieren darf) in die Schlange “nicht-EU-Staatsangehörigkeit” stellen. Als Einzige muss sie ihre Fingerabdrücke und Informationen über ihren Aufenthaltsort in England hinterlassen – und die Buchungsbestätigung für den Rückflug vorzeigen.
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Nathan McCullen, Bühne: Barney George, im Video: Sara Bahadori, Foto: Simon Warner

Im Theater an der Parkaue hatte am Dienstagabend “The Worm Collector” von Jodie Marshall Premiere, ein Gastspiel der West Yorkshire Playhouse Touring Company aus Leeds. Ein ganz junger Schauspieler tritt darin auf, Nathan McCullen, der kaum älter wirkt als die Berliner OberschülerInnen im Publikum. Hi, sagt er, und in das, was er danach sagt, muss man sich erst einmal einhören, denn er spricht – Leeds liegt im Norden Englands – wirklich breit und schnell. Auch manche derjenigen, die sich später in der Publikumsdiskussion souverän auf Englisch zu Wort melden, scheinen hier nicht immer ganz mitzukommen. Schnellzusammenfassungen von Schlüsselpassagen werden im Flüsterton durchgereicht. Und vor allem am Ende, nach dem Schlussbeifall, muss in kleinen Gruppen rasch geklärt werden, ob Mark, die Hauptfigur, von Gary getötet wurde oder im Gegenteil ihn umgebracht hat – schließlich hatte er doch das Messer, oder?


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Exkursion entlang der Grenzen: Jana Nagulina und Nora Schiller beim Workshop zum "Borderlines"-Projekt in Berlin, Foto: Theater an der Parkaue

 

Borderlines heißt das Projekt des Berliner Theaters an der Parkaue mit dem West Yorkshire Playhouse in Leeds. Auf der Grundlage von zwei Workshops mit Jugendlichen aus beiden Städten wird ein Jugend-Stück geschrieben, das mit je zwei deutschen und zwei englischen Schauspielern inszeniert und im nächsten Frühjahr erst hier, dann dort gezeigt wird. Die Autorin ist die Britin Aisha Khan, Regie führt Lajos Talamonti aus Berlin.

Grenzverläufe, Abgrenzungen. Die – 20 Jahre Mauerfall! – Ost-West-Grenze natürlich. Dass diese für die Berliner Jugendlichen kein Thema ist, haben Talamonti und die Dramaturgin Anne Paffenholz, die das Projekt von deutscher Seite leiten, nach den ersten Begegnungen mit ihrer Gruppe schnell festgestellt. Wobei es durchaus wichtig sei, wo wer herkomme. Aber dabei zähle der Bezirk an sich und nicht seine geopolitische Lage.
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