24.12.

Ich habe nicht so gut geschlafen, stehe aber diszipliniert auf, mache die wichtigen Übungen und treffe Siggi zum Kaffee. Es macht grossen Spass mit ihm zu reden; ein sensibler, kluger Mann, bei dem man versteht, warum das so scheue Volk von Guinea Bissao ihn akzeptiert hat, ihre Abgeschiedenheit zu filmen. Mit Angelika bildet er ein sehr gutes Team, die beiden ergaenzen sich und harmonieren sehr schoen. Wir reden ueber seine Arbeit, auch ueber die Zeit in Aethiopien und die tiefen Erfahrungen, die er dort gemacht hat. Diese ganze Diskussion ueber postkoloniales Theater, die ich zu Hause führe, scheint merkwuerdig theoretisch. Nach allem, was ich ueber dieses Leben begreife, ist jeder Versuch Systeme zu entdecken und zu beschreiben ein Versuch die Tatsache zu verdrängen, dass es dieses System letztlich nicht gibt. Es sind mehr oder weniger gelungene Annaeherungen an eine nicht fassbare, ja, nicht existente Wirklichkeit, ein verzweifelter Versuch der Unfassbarkeit des Lebens eine Ordnung aufzuzwingen. Der politische Kampf ist das eine, das Verwechseln mit Wahrheit das andere. Jeder hat ein Leben, das einen nicht systematisierbaren Verlauf nimmt. Alles andere sind Gedankenspiele. Wenn sie helfen diese Welt besser zu machen gut, wenn nicht, schmeiss sie ohne Bedenken in den Mülleimer, denn wenn man auf ihnen besteht, schafft man unendliches Leid.

Langsam kriechen alle aus ihren Zimmern, heute ist kein grosses Programm. Wir wollen Mails schreiben, Kontakt zu den Kommenden aufnehmen, ein wenig die Stadt sehen. Um elf gehen wir los und landen in einem Wifi-Restaurent, wir essen und schicken Mails ab, empfangen schlechte Nachrichten. Ja, sehr schlechte Nachrichten, mal so kurz nach Burkina gesendet. Ist die Arbeit in Frage gestellt, wurde ich verarscht? Ich versuche es zu klären und merke, dass ich überleben werde, jedenfalls werden weder ich noch meine Arbeit daran kaputt gehen. (Jetzt fragt der Leser woran und ich darf es nicht sagen.) Markus und ich gehen jetzt in ein Internetcafé, das sacklangsam ist, und schwitzen zwei Stunden vor diesen schönen altmodischen Jugendstilrechnern. Danach versuchen wir Marcus’ Gepäck zu finden, beim Busbahnhof, das nämlich hat es bis jetzt nicht geschafft von Paris bis zu uns, doch entgegen der Ankündigung ist es auch jetzt nicht angekommen, und so bleiben wir technisch unterbelichtet.  Zurück im Hostel trinken wir ein Bier, essen ein paar Bananen und ruhen uns aus. Heute Abend geht’s um 9.00 Uhr in die Messe. Wir sind gespannt.   Mit dem Taximan zur katholischen Kathedrale; ein grosser schmuckloser Bau, er fasst bestimmt 2500 Leute, eine halbe Stunde vorher gut gefüllt – ganz wie im Kaeppelle – strömen weiter unaufhörlich Leute rein. Endlich geht’s los, der Bischof kommt, der Klang einer wirklich miesen elektronischen Orgel mit Rhythmusmaschine verdirbt mir die Laune, die Messe ist langweilig, die vielen Leute langweilen sich, die Luft ist unglaublich staubig, es ist weder festlich noch lebendig, sondern irgendetwas Undefinierbares – exportierte Besinnlichkeit. Wir verlassen die Kirche, die noch drei Stunden weiter bespielt wird, und lassen uns zu einem protestantischen Gottesdienst fahren.Viel kleiner schreit dort ein Prediger die schlaefrigen Zuschauer an, eine dicke Frau übersetzt. Ich schenke dem schnarchenden Kind neben mir Kekse – mein einziges Weihnachtsgeschenk – und warte auf Siggi, der unermüdlich und mit höchster Erlaubnis dreht.

Endlich nach einer gefuehlten oft erwaehnten Ewigkeit kommt ein kollektives Amen und eine Band beginnt zu spielen. Durch die Leute geht ein Ruck, sie springen auf, beginnen zu tanzen und ich auch, die Kinder lachen sich kaputt an mir, weil sie soviel Eleganz nicht gewohnt sind, Siggi filmt mitten drin. Zufrieden gehen wir endlich unser Weihnachtsessen einnehmen, im Black, einem berühmtberuechtigten Viertel in Bobo. Ein Grill am andern mit Huhn, Lamm, Leber, Spiesse, Fritten, Bier. Man geht an einen Stand, sagt die Summe, für die man essen will, der Grillmeister Haut das Fleisch klein und bringt es an den Tisch, ebenso mit dem Bier, so bestellen wir Runde für Runde, immer woanders und lassen es uns bringen, 2 junge Prostituierte setzen sich zu uns, Ouelgo gibt Cola aus und sie unterhalten sich ungeschickt mit uns, Siggi und ich unterhalten uns über das Leben, Angelika lässt sich nach Hause fahren, während ich total unauffällig das Treiben am Tisch beobachte. Marcus freut sich, denn das Mädchen hört zu und so kann er sein Franzoesisch verbessern. Bald aber brechen wir gemeinsam auf, die Mädchen ziehen weiter, wir ins Hotel, es ist spät, halb zwei, Heiligabend in Bobodiolassou 2010.

Tags: , ,

0 Comments

leave a comment

You must be logged in to post a comment.