Heidelberger Cover-Keks

Die Butterkekse mit der israelischen Flagge als Zuckerguss sieht man in Heidelberg derzeit überall. Auf dem Spielplan des Theaters, auf den schwarzen Shirts  der Theater-Mitarbeiter, und bei der Eröffnung des Heidelberger Stückemarkts wurden sie nach den Vorstellungen auf dem silbernen Tablett sogar in echt und zum Reinbeißen angeboten. Wobei die kulturelle Botschaft dieser kulinarischen Schichtung keineswegs eine Erfindung des Stückemarkt-Teams um Schauspielchef Jan Linders ist. Vielmehr habe eine israelische Kollegin den Keks während einer Recherche für das Gemeinschaftsprojekt “Familienbande” in Heidelberg gefunden, erzählte Nina Steinhilber, die Dramaturgin der ersten Familienbande-Produktion „They call me Jeckisch“. Angeboten von einer privaten Keksverziererin, die jetzt für die Eröffnung in größerem Stil tätig wurde.

Über Israel zu sprechen, heißt nicht, über Palästinenser zu schweigen

Israel ist das diesjährige Gastland des Heidelberger Stückemarkts, und Israel bzw. das Teatron Beit Lessin aus Tel Aviv ist der Partner der Heidelberger Theaterleute im Wanderlust-Projekt Familienbande/Family Ties, das letzten Oktober begann und im Januar mit „They call me Jeckisch“ unter der Regie von Nina Gühlstorff die erste von insgesamt sechs gemeinsamen Produktionen herausgebracht hat. Manchen in Heidelberg ist das zu viel blau-weiß und zu wenig schwarz-weiß-grün-rot, was die Farben der Flagge der Palästinensischen Autonomiegebiete sind.

Der Verleger des Palmyra Verlags wandte sich vor einigen Tagen mit einem Offenen Brief an Jan Linders, und vor dem Eingang zur Spielstätte Theaterkino standen gestern in der Heidelberger Altstadt einige freundliche Vertreter einer Palästina/Nahost-Initiative Heidelberg. Beider Anliegen: Es ginge doch nicht, bei einer Kulturkooperation mit Israel „die palästinensische Seite komplett zu ignorieren“. Ja, ginge es denn, die jeweiligen Vertreter im Ausland in einen kulturellen Topf werfen zu wollen, während sie im eigenen Land momentan nicht miteinander sprechen?

Jan Linders und der Intendant des Heidelberger Theaters, Peter Spuhler, nennen einen solchen Vorschlag in ihrem ebenfalls Offenen Antwortbrief „politisch nachgerade naiv“ und verweisen auf ein Gastspiel des palästinensischen Freedom Theatre Jenin im letzten Oktober sowie auf die prinzipielle Gesprächsbereitschaft der zumeist dem „regierungskritischen Spektrum“ angehörenden israelischen Künstler.

Das israelische Theater ist gegenwartsversessen

So gegenwartsversessen und diskursiv wie das israelische Theater nun einmal ist (Avishai Milstein, Regisseur und Dramaturg am Teatron Beit Lessin, hat dies sowohl im Programmbuch als auch in einem soeben auf nachtkritik.de veröffentlichten Theaterbrief anschaulich beschrieben), besteht ohnehin nicht die Gefahr, dass der Konflikt mit den Palästinensern in den israelischen Gastaufführungen, die den Autorenwettbewerb begleiten, unter den Tisch fällt.

Neben einem Scholem Alejchem-Abend des Tel Aviver Herzliya Ensembles wird auch „Zwölf Uhr Mittags“ von Shmuel Vilozhny gezeigt, eine Produktion des Tel Aviver Cameri Theaters, in der es um die Geschichte eines israelischen Unteroffiziers geht, der 1973 seinen Dienst am Suezkanal antritt und von den Ägyptern gefangen genommen wird. „Die Banalität der Liebe“ von Savyon Liebrecht schließlich, inszeniert von Avi Milstein mit Ensemblemitgliedern des Teatron Beit Lessin, handelt von der Beziehung zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger.

Diese Produktion, deren Aufführungen in Israel (so Milstein) bereits bis Ende Juni 2011 ausgebucht sind, eröffnete das Festival am Donnerstag. Nach vielen schwung- und hoffnungsvollen Reden natürlich erst: Dirk Niebel war da, der FDP-Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit – als Heidelberger Bundestagsabgeordneter, aber auch als Vizepräsident der deutsch-israelischen Gesellschaft. Der israelische Botschafter Yoram Ben-Zeev bezeichnete den Israel-Schwerpunkt als „neue Stufe“ des „kulturellen Austauschs“ beider Länder. Intendant Peter Spuhler apostrophierte „They call me Jeckisch“ als die für ihn persönlich „wichtigste Produktion in fünf Jahren Theaterarbeit in Heidelberg“. Und Jan Linders verteilte Butterkeks-Shirts an die Ehrengäste („Kann man leider nicht kaufen, kann man nur erarbeiten.“), unter denen auch die Autorin Liebrecht war.

Hannah Arendt und Martin Heidegger

Bei der in einer well-made Rückblendetechnik erzählten und konventionell bühnenrealistisch umgesetzten Geschichte waren zwei Erzählungen entscheidend und berührend: Wie Martin Heidegger (gespielt von Oded Kotler) durch seine anfängliche Sympathie für Hitler die Bildung einer jüdischen Identität bei der jungen Hannah Arendt (Michal Shtamler) überhaupt erst in Gang setzt. Und wie die alte Hannah Arendt (Leora Rivlin) sich ihr ganzes Leben hindurch neben allem, was sie sonst noch prägte, diese schwärmerische Mädchenliebe für den Philosophen bewahrt hat, als läge in dieser Treue die Möglichkeit, alles, aber auch ALLES (vom Verheiratetsein des Geliebten bis hin zur Shoah) ungeschehen zu machen und als gemeinsame Zukunft neu träumen zu können.

Spuren beider Muster finden sich auch in der am späteren Abend in der Spielstätte Zwinger gezeigten dokumentarischen Inszenierung „They call me Jeckisch“, womit die deutsch-jüdischen Einwanderer bezeichnet werden, die ihre Herkunftskultur zu bewahren versuchen. Zwei israelische (Hadas Kalderon und Michael Hanegbi) und zwei deutsche Schauspieler (Ute Baggeröhr und Frank Wiegard) vor einem Postkartenprospekt des Heidelberger Schlosses im Abendlicht, das durch einen Pappaufsteller mit sternförmigem Durchstieg halb verstellt ist. Dazu eine Kleiderstange mit Pelzmantel, Schuhe, Kaffeetisch.

Was will man da sagen, als Deutscher?

Die Regisseurin Gühlstorff lässt in der auf zahlreichen Interviews beruhenden Arbeit mit Klischees spielen, mit Vorab-Erwartungen, aber auch mit den Konflikten der Schauspieler untereinander, die sich – so wurde im Publikumsgespräch hinterher erzählt – lange misstraut haben. Lebensgeschichten deutscher Juden und jüdischer Deutscher werden anerzählt, immer wieder unterbrochen von der Standpunktklärung der Darsteller.

Hadas Kalderon mit dem Gedichtband ihres Großvaters. Foto: Markus Kaesler

Wobei Hadas Kalderon und Michael Hanegbi eindeutig das dominante Team sind. Sie geben die Haltung vor, der die anderen zu folgen versuchen. Sie stellen Fragen oder fordern gefragt zu werden, worauf die anderen nichts zu sagen wissen. Die Deutschen fragen ja nicht so viel. Und machen keine Setzungen. Sie gucken erstmal. „You always need orders“, schreit Michael Hanegbi irgenwann in der Rolle eines jungen Israeli. Ihr seid die, die immer Befehle brauchen und dann auch gehorchen. Und: „There hasn’t been any revenge yet.“ Da sei noch keine Rache gewesen, und sei Rache in diesem Fall nicht die heilige Pflicht? Was will man darauf sagen, als Deutscher?

Es geht doch! Es geht nicht!

Das sind natürlich keine authentischen Beiträge der Darsteller. Aber die Haltungen wirken authentisch, die Spannungen sind spürbar und wahrhaftig. Wobei Hadas Kalderon nach der Vorstellung sagt, sie spiele durchaus keine Rolle, sondern stünde nur deswegen auf einer deutschen Bühne, um die Geschichte ihres eigenen deutschstämmigen Großvaters hierher zurückzubringen. Was sie auch tut, die Mixtur fremder Biografien mit einem Gedicht über erfrorene Juden durchbrechend, durchdringend und sprengend.

Ein hebräisch-englisch-deutscher Abend, bei dem sich Leute gegenüberstehen, die in ihrem sonstigen Leben Künstler sind, voreinander aber sofort zu „Juden“ und „Deutschen“ werden (dies die Verbindung zur jungen Hannah). Und ein Abend, bei dem die doppelte Wahrheit ihrer Begegnung (Es geht doch! Es geht nicht!) immer spürbar ist.

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