Am 23. Februar soll Lothar Trolles Stück “Der Engel von Sibiu” am dortigen Theater Radu Stanca Uraufführung haben. Die Bühne hat eine deutsche Abteilung, an der Oberhausens Intendant Peter Carp nun inszeniert. Ein Gespräch kurz vor dem Abflug nach Sibiu.

Peter Carp © T+T Fotografie

Peter Carp © T+T Fotografie

Wie kam es zur Zusammenarbeit von Oberhausen und Sibiu?

Carp: Ich habe schon in Luzern, als ich dort tätig war, mit Künstlern aus anderen Ländern zusammen gearbeitet. Das habe ich in Oberhausen fortgesetzt. Das wurde am Anfang etwas belächelt. Dann fingen die Leute an, das ernst zu nehmen, jetzt machen es viele Theater. Und es wird sogar von der Kulturstiftung des Bundes unterstützt, mit dem Fonds Wanderlust. Das hat mich sehr gefreut. Es gab schon ein paar Kontakte zum Theater nach Sibiu. Der Regisseur Andrej Zholdak, der regelmäßig bei uns arbeitet, inszeniert auch in Sibiu. Dort gibt es eine deutsche Abteilung. Wegen der deutschen Minderheit, die nach wie vor in Sibiu – dem ehemaligen Hermannstadt – lebt.  Insofern bot es sich an, auch über das Thema Migration nachzudenken. Viele Deutsche sind ja in den neunziger Jahren aus Sibiu weggegangen.

Ist die deutsche Minderheit kulturell prägend? Wie haben Sie das bisher in der Stadt empfunden?

Carp: Ja, über Jahrhunderte hinweg. Es gibt auch viele deutsche Namen dort, auch von Institutionen. Da gab es einen Baron von Brukenthal, der erst anders hieß, aber dann von Kaiserin Maria Theresia diesen Namen erhielt. Ein Palais mit seinem Namen steht in der Stadt, eine Schule ist nach ihm benannt, auf die alle gehen, die in Sibiu und Umgebung etwas werden wollen, die Eliteschule. Der jetzige Bürgermeister kommt aus einer deutschstämmigen Familie. Das Thema Migration ist interessant, weil Menschen vor vielen Jahrhunderten eingewandert sind und diese Stadt Sibiu entstehen ließen. Das war die erste Migrationswelle. Und auch die Bevölkerung des Ruhrgebietes ist ja stark von Migranten geprägt worden. Darunter waren auch Leute aus Siebenbürgen. Heute ist durch die vielen Menschen, die Sibiu verlassen haben, in der Stadt ein gewisses Vakuum entstanden.

Die Zusammenarbeit besteht nicht nur aus der Uraufführung eines Stückes von Lothar Trolle…

Carp: Das Ganze hat mit einem Jugendaustausch angefangen. Es sind Leute aus Oberhausen nach Sibiu gefahren. Es werden auch Leute aus Sibiu nach Oberhausen gekommen, jeweils unter Anleitung von Theaterpädagogen. Der Regisseur Bernhard Mikeska war lange in Sibiu und hat aus seinen Erlebnissen und literarischen Texten ein Stück gemacht, das bei uns im April Premiere hat. Dann haben wir zwei Autoren beauftragt. Lothar Trolle hat ein Stück über Sibiu geschrieben, das ein deutscher Regisseur, also ich, mit dem Ensemble dort und einem Schauspieler von uns in Sibiu produziert. Dann gibt es eine rumänische Autorin, die nach Oberhausen kommt und ein Stück schreibt. Das wird dann ein rumänischer Regisseur mit unserem Ensemble inszenieren. Für beide Stücke gibt es das gleiche Bühnenbild, so dass die Aufführungen wechselnd gespielt werden können. Das rumänische Ensemble, das ja deutsch spielt, zeigt die Sibiu-Produktion in Oberhausen und umgekehrt. Es muss also kein Bühnenbild verladen und auf den Balkan gekarrt werden.

Lothar Trolle hat für Ihr Theater ja schon eine “Oberhausener Johannes-Passion” geschrieben. Da ist er durch die Stadt gegangen und hat Impressionen gesammelt. War seine Arbeitsweise in Sibiu ähnlich?

Carp: Wir waren im vergangenen Winter zusammen in Sibiu, haben viele Menschen getroffen und uns das Theater angeguckt. Er hat einen großen Gesang geschrieben. Das Stück heißt “Der Engel von Sibiu”. Es könnte auch “Die Engel von Sibiu” heißen. Er hat natürlich sein Material aus den Beobachtungen und Gesprächen in Sibiu genommen. Aber er hat sich gleichzeitig aus alten Zigeunermärchen bedient. Wie die meisten Stücke von Lothar Trolle ist der Text nicht aufgeteilt in verschiedene Rollen. Die Arbeit müssen der Dramaturg Tilman Rabke und ich machen. Es hat immer wieder etwas Chorisches. Es gibt einen Erzähler, und dann wechselt die Erzählung in den Kopf des Menschen, der gerade beschrieben worden ist. Und der erzählt, was ihn gerade bewegt. Der eine ist verliebt, der andere ist von seiner Frau losgeschickt worden – die beiden sind kinderlos – um draußen in der Welt einen Sohn zu suchen. Der soll sich um die beiden kümmern, wenn sie alt sind. Und dann zieht der Mann mit der Axt über der Schulter durch die Wälder, sucht einen Sohn und weiß, er wird keinen finden. Es sind viele märchenhafte Stoffe, die aber immer eine Einmündung haben in ganz reale Menschen, die im heutigen Sibiu leben oder lebten. Man weiß auch nicht ganz genau, ob die nicht schon alle verstorben sind und sich ein Mensch an diese Figuren erinnert. Und deswegen können die Engel die Stimmen dieser Menschen übernehmen. Unser Bühnenbild ist eine Schleusenwelt zwischen Leben und Tod.

Das klingt sehr poetisch, und es klingt nach Musik.

Carp: Es ist auch sehr poetisch und musikalisch, deshalb wird es wohl keine Musik geben. Denn der Text ist die Musik. Ich hatte überlegt, mit Musik zu arbeiten, dachte dann aber, nein, das geht nicht. Der Text hat etwas von Gesängen, auch wenn er nicht gereimt ist. Aber er hat einen unheimlich schönen Fluss, er ist sehr komponiert.

Ist die deutsche Abteilung des Theaters in Sibiu eigenständig? Oder integriert in den Gesamtapparat?

Carp: Sibiu war europäische Kulturhauptstadt und hat sich da sehr profiliert. Außerdem gibt es jeden Mai ein großes internationales Theaterfestival. Das Theater Radu Stanca ist ziemlich groß, meistens spielt es natürlich auf Rumänisch. Die deutschsprachigen Schauspieler können natürlich auch Rumänisch, die spielen auch in den rumänischen Produktionen mit.

Sie haben nicht allzu viel Zeit, um die Trolle-Uraufführung zu inszenieren.

Carp: Das stimmt, aber weil die vier Darstellerinnen, mit denen ich da arbeite, aus allen anderen Proben freigestellt sind, geht es in fünf Wochen. Die deutsche Abteilung spielt auch nicht so oft. Wir können jeden Morgen und jeden Abend probieren. Außerdem habe ich da keine Intendanzgeschäfte zu erledigen und kann mich ganz auf meine Inszenierung konzentrieren.

Auf was für ein Theater sind Sie in Sibiu gestoßen? Wenn Andrej Zholdak dort inszeniert, der die Schauspieler immer extrem fordert,  kann es ja nicht ganz konservativ sein.

Carp:  Sie spielen sehr viele zeitgenössische Stücke, Schimmelpfennig, Mayenburg, “Breaking the Waves” von Lars von Trier, “I hired a contract killer” nach Kaurismäki. Deutsche Klassiker zeigen die eher  nicht, sondern neue deutsche Dramatik. Deshalb passt Lothar Trolle auch gut rein.

Wie haben Sie das Publikum bei Ihren bisherigen Besuchen erlebt?

Carp: Es sind viele junge Leute. In Sibiu, in Rumänien generell, ist Theater bei jüngeren Leuten sehr beliebt. Die haben keine Probleme, ihre Karten los zu werden. Natürlich kommen auch Ältere. Die Deutschstämmigen in Sibiu sind ja seit Jahrhunderten dort. Das ist keine frisch eingewanderte Generation, das ist ein anderes Selbstverständnis.

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