“Landscape With The Fall”

Eine Geburt und eine Gesellschaft im Umbruch – beides ist verbunden mit Schmerz, Angst, Realitätsflucht. Normalität und Katastrophen, Alltag und Revolution versammelt in einem Bild. Das GemäldeLandschaft mit dem Sturz des Ikarus” des flämischen Malers Pieter Bruegel d. Ä. bildet Ausgang und Ende eines Theaterstücks. ”Landscape with the Fall”, der Theatertext der Kroatin Ivana Sajko, ist Grundlage dieser Uraufführung zum Festival der Kulturen in Braunschweig. Szenische Bilder, vorgetragenen Gedanken und Träume sind die Bausteine des Stücks. Auf der Bühne: keine klar erkennbaren, handelnden und sprechende Personen. Statt dessen nutzt Regisseurin Daniela Löffner eimerweise Farben und Papierbahnen und die Körper der Schauspieler als Leinwand.

“Landscape with Fall” ist eine Wanderlust-Produktion, die im Rahmen des Kooperationsprojektes Achtung Pioniere! zwischen dem Staatstheater Braunschweig und dem z|k|m| Zagreb entstand.

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Ein Pop-Konzert? Eine Revue? Ein Turnwettbewerb? Oder doch die Uraufführung eines Theaterstücks? „Yellow Line“ ist nicht nur eine Wanderlust-Produktion, sondern auch der abschließende Programmpunkt beim Festival „Theaterformen“ in Braunschweig – und der kroatische Regisseur Ivica Buljan hat seine Inszenierung ganz darin eingebettet: Hier liegt das Augenmerk zunächst einmal auf der Form, Theater auf die Bühne zu bringen.

Schon als die Zuschauer im Kleinen Haus des Staatstheaters Braunschweig freie Plätze suchen, spielen die Schauspieler aus Deutschland und Kroatien ein paar Klangfetzen auf der Gitarre, wiegen sich im Takt, trippeln auf und ab. Hinter ihnen ein großes Gemälde: Zwei Frauen liegen nackt im Gras, um sie herum weidende Kühe. Das Bild versucht einen losen Verweis auf den Inhalt des Stücks, das Juli Zeh und Charlotte Roos für die Kooperation zwischen dem Staatstheater Braunschweig und dem Theater z/k/m in Zagbreb geschrieben haben: Die weidende Kuh ist darin eine Art Sinnbild für das freie Leben, in dem Kühe noch Namen tragen und wo Mensch und Tier sich nicht dem Optimierungszwang und dem Anspruch an maximale Effizienz anpassen.

Yellow Line: Der Herdenmanager (TOBIAS BEYER) und seine Assistentin (NINA VIOLIĆ)

Der Herdenmanager (TOBIAS BEYER) und seine Assistentin (NINA VIOLIĆ). Foto: Mara Bratos

Doch Zehs und Roos’ Stück hat nichts mit einer nostalgischen Sehnsucht nach heiler, entschleunigter Welt zu tun – es ist viel mehr eine komische, kluge Abrechnung mit dem gefeierten Freiheits- und Demokratiestreben der Menschen. Anders als die Inszenierung erzählt das Stück ohne große formale Spielereien zwei Geschichten, die einander bedingen. Da ist Paul, der im Pauschal-Urlaub mit seiner Freundin Helene begreift, dass die sogenannten „Angebote“ von Animation, Ausflügen und Büffet-Zeiten nur der „Abrichtung und Gehirnwäsche“ dienen. Ihn stören die geschlängelten Wege in den Hotelanlagen, „weil sie nur geschlängelt sind, damit sie nicht gerade sind, aber dadurch sind sie noch viel gerader!“ Die titelgebende „Yellow Line“ ist die in der Sicherheitszone des Flughafens, die Paul trotzig überschreitet, weil das nur „zehn beliebige Quadratmeter auf diesem Planeten sind“ – nur eben etwas weiter nordöstlich. Helene dagegen verdient ihr Geld damit, sich als „Performance “ nackt in einen Käfig einsperren und als lebendes Kunstwerk versteigern zu lassen. Im Fernsehen sieht Paul dann die Kuh Yvonne, eine ungewöhnliche Freiheitskämpferin, die gegen alle Zäune anrennt. In Pauls anschließendem Versuch, wenigstens einem Wesen zur Freiheit zu verhelfen, verschränkt sich die zweite Geschichte des Stücks: Auf dem offenen Meer schlägt eine vom Himmel fallende Kuh in ein Fischerboot eines Arabers ein – und Frontex kassiert den unschuldigen Mann als illegalen Flüchtling.
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Der nächste große Flughafen ist Zürich, in 80 Minuten ist man schon da: Konstanz, am Bodensee, Grenzstadt, Einkaufsstadt, zumindest für die Schweizer, die da günstig shoppen, ohne sich fremd zu fühlen (fast alles ist wie bei ihnen: die Sprache, der Lebensstandard – nur halt die Preise nicht). Auch beim Theater Konstanz kommt ein Drittel der Zuschauer aus der Schweiz. Sagt Thomas Spieckermann, der Chefdramaturg, im Ruhrgebiet geboren, in Herne aufgewachsen, eine ganz andere Gegend als dieser schöne fette Süden. Als hätten wir einen Code ausgemacht, tragen wir beide Dramaturgenkluft: schwarze Hemden, schwarze Sonnenbrille, Haare in immerhin unterschiedlichem Grau. Es ist warm, ja heiß. In einer Woche ist Premiere von „Welt 3.0 – Maschinerie Hilfe“, der großen Koproduktion mit Nanzikambe Arts in Blantyre, Malawi. In einer Woche? In acht Tagen! Jeder Tag zählt. Morgen Freitag ist es soweit: 8. Juni. Ich sitze derweil an der documenta in Kassel und schaue über die Auen, wenn man blinzelt ist es ein Urwald. Zweimal blinzeln: Back to Konstanz.

In der Spiegelhalle, zwischen Bahnhof und See gelegen, gibt es die ersten Endproben auf der Bühne.  Clemens Bechtel und Thoko Kapiri teilen sich die Regie. Die Szenen, die auf dem malawischen Dorf spielen, liegen in Kapiris Hand. Meistens zumindest. Doch bald vermischen sich die Regien. Mach Du mal weiter. Sure. Einer malawischen Schauspielerin muss erklärt werden, dass hinter der Bühne ein Bildschirm steht, der alles überträgt. Der deutschen Schauspielerin fehlt ein englisches Wort. Obwohl vier Autoren an diesem Text über Entwicklungshilfe gearbeitet haben, ist in den letzten sechs Wochen noch einmal viel hinzugekommen. Man spricht aber nicht nur Deutsch und Englisch, sondern auch Chichewa, die Alltagssprache in Blantyre. Das ist nicht selbstverständlich. Wenn internationales Geld im Spiel ist, hört man auch meistens Englisch auf der Bühne.

Man sollte „Welt 3.0 – Maschinerie Hilfe“ nicht als melancholisches Stück über die Nutzlosigkeit von Entwicklungshilfe missverstehen. Vor der Probe trinken wir einen Kaffee am See, Thoko Kapiri schüttelt den Kopf: „Nein, das wäre zynisch. Im Stück geht zwar viel schief, aber wir wollen vielmehr zeigen, wie falsch die Erwartungen sind.“ Kapiris Gruppe Nanzikambe Arts hatte davor oft politisches Theater gemacht, es wurden Menschenrechtsthemen behandelt, „weil unser Geld auch von Menschenrechtsorganisationen stammte. Wir sind Teil dieser Maschinerie“, sagt er ohne mit der Wimper zu zucken. Er bleibt auch ganz nüchtern, wenn er erzählt, man habe davor viel Ibsen gespielt, weil die Norwegische Botschaft die Gruppe unterstützte. Wären die Deutschen so dreist, zum Beispiel in Togo eine „Minna von Barnhelm“ zu diktieren, oder meinetwegen ein naturalistisches Schauspiel wie Hautpmanns „Biberpelz“? Ich stelle mir einen Shitstorm über dem Goethe-Institut vor, über dem Auswärtigen Amt oder auch hier im Blog der Kulturstiftung.

So klar – oder unverschämt – sind die Verhältnisse dieses Mal nicht. „Ich hatte langsam genug von diesen politischen Themen, und auch hier verhandeln wir Entwicklungshilfe nicht als Politikum, sondern als Realität auf der untersten Stufe, im Dorf, wenn verschiedene Kulturen aufeinander treffen“, sagt Kapiri. Aber was will man machen, die Politik hat sich selber eingemischt, Entwicklungshilfe ist seit zwei Monaten wieder ein Megathema in Malawi. Im April starb der alte, autoritäre Präsident, der es geschafft hatte, die Entwicklungsgelder, die rund ein Drittel des Staatshaushaltes ausmachen, zu verscheuchen. Seitdem versucht seine Nachfolgerin, die Reformpolitikern Joyce Banda, die internationale Hilfe und Investitionen wieder zurückzuholen. Wenn die Konstanzer Ende Juli mit ihren Kollegen nach Malawi auf Gastspiel reisen, landen sie, ohne es gewollt zu haben, in einem existentiellen Diskurs.

Dabei hat dieses Ablschlussprojekt einen ganz anderen Vorlauf. Cheframaturg Spieckermann, der deutsche Regisseur Clemens Bechtel, der malawische Regisseur Thokozani Kapiri und sein Schauspieler Misheck Mzumura. Zwei Jahre haben sie daran gearbeitet. Wie so oft in solchen Projekten redet man von „Recherche“. Tatsächlich sind die Deutschen drei Mal nach Malawi gereist, sind mit gemischten Projekten im Land getourt, haben Workshops veranstaltet und unzählige Interviews geführt. Und einige dieser Recherchen kehren als Typen wieder im Stück: Der zynische Ingenieur, der zu lange in Afrika war, um in sein Heimatland zurückzukehren, aber dennoch nicht mit den Verhältnissen klar kommt; der afrikanische Dorfchef, der nicht so scharf unterscheidet zwischen Geschenk und Bestechung; die junge Frau, die man einer Sabotage verdächtigt und deren Baby plötzlich auffallend hellhäutig scheint.

Das Beste, was einer interkulturellen Arbeit passieren kann, ist manchmal die Umkehrung der Klischees. Auf die Unterschiede der Schauspielerstile befragt, antwortet Thoko Kapiri: „Meine Leute wundern sich immer, wie emotionalisiert die Deutschen spielen, die gehen völlig auf in ihrer Rolle! Die Malawis sind da cooler und sagen immer, hey, wir spielen nur Theater.“ Nach der Probe weiss der Dramaturg Spieckermann erst nicht so recht, was man nun aus dieser Erfahrung „gelernt“ habe. Und erzählt dann, wie das Theater Konstanz in der nächsten Saison unbaubedingt auf das Stammhaus verzichten muss. „Wir spielen dann auch in Gemeindesälen“. Ist das nicht teuer, jedes Mal die Technik neu zu stemmen? „Ach,“ winkt Spieckermann ab, „wir fahren die Bühnenbilder herunter, alles wird sehr einfach werden. Ha, doch was gelernt in Afrika!“ Leute aus dem Ruhrgebiet sind in der Regel schon so nicht sofort aus der Ruhe zu bringen. Aber vielleicht haben Spieckermann und Co. in Afrika noch mehr Geduld gelernt. Oder Hartnäckigkeit. Jedenfalls hört Afrika am Theater Konstanz nicht einfach zu existieren auf, nur weil der Wanderlust Fonds der Bundeskulturstiftung nun ausläuft. Es geht weiter, von See zu See.

»Landscape with the Fall of Icarus« – das Bild von Pieter Brueghel dem Älteren war eine Vorlage für Ivana Sajkos Stück »Landscape with the Fall«, welches heute am Staatstheater Braunschweig Premiere hat.

Regisseurin Daniela Löffner und ihr Schauspielensemble arbeiten sich an dem Bild ab und entwerfen immer neue Bilder. Über das Brueghel Bild sagt die kroatische Autorin Ivana Sajko: »Ich bin auf das Bild aufmerksam geworden, weil in ihm eine Art bittere Ironie liegt. Die Landschaft auf dem Bild scheint ganz ruhig zu sein. Die Menschen darauf gehen ihren alltäglichen Aufgaben nach, das Wetter ist schön und wir können weit bis zum Horizont sehen. Aber im rechten unteren Winkel des Bildes, beinahe unsichtbar, versinkt ein Junge im Wasser. Bitterkeit liegt darin, dass die Welt sich, trotz der Tragödie eines Einzelnen, weiter dreht. Als ich anfing, ›Landscape with the Fall‹ zu schreiben, entschied ich mich den Mythos von Ikarus als einen Anfangspunkt für das Stück zu wählen, wobei der Mythos für mich keine Geschichte über das Fliegen ist, sondern eine Geschichte über Stürzen und Scheitern. Brueghels Bild veranschaulicht genau das – das Scheitern des Individuums konfrontiert mit der Ignoranz der sozialen Landschaft.«

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