posted by Tobi Mueller
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Was wir hier auf diesem Blog betreiben, ist keine Theaterkritik. Allenfalls Theaterjournalismus. Aber selbst das ließe sich aus traditioneller Warte bezweifeln. Wir haben den gleichen Auftraggeber wie die Produktionen, die wir begleiten. Wir sind alles amtierende oder ehemalige Theaterkritiker oder irgendwas dazwischen und probieren hier etwas, was auf dem freien Markt „corporate publishing“ heißen würde. Die Theaterkritik der Tagezeitungen schwankt derweil zwischen Phantom und Farce. Zwischen Geisterstunde und der Simulation einer Öffentlichkeit, die es so nicht mehr gibt. Dieses Blog ist nicht zuletzt ein Mittel, solche Veränderungen zu reflektieren. Und dies nicht nur aus Sicht des, nun ja: Kritikers, sonder auch aus jener der koproduzierenden Theater.

Bevor man über neue Möglichkeiten des Gesprächs über Theater nachdenkt, sollte man den Fakten kurz ins Auge schauen. In Deutschland arbeiten rund 17.000 Journalisten, davon schreiben mittlerweile noch zwischen 3 und 5 ausschließlich und in Festanstellung über Theater – ein paar wenige mehr, wenn wir Wochen- und Fachblätter dazu zählen. Wir reden so oder so über die zweite Stelle nach dem Komma. Wir könnten uns in kleinteiligen Diskussionen verlieren, ob ein Radiogespräch eine kritische Textsorte sei oder eine Vorschau nicht auch Öffentlichkeit herstelle. Oder wir könnten die Theaterkritik noch zehn Jahre schlussverwalten. Aber wir sollten nicht mehr so tun, als sei dieser Beruf noch ein Beruf.Bei vielen Zeitungen verdient man für eine Theaterkritik noch die Hälfte wie vor fünfzehn Jahren. Man müsste rund das Doppelte, wenn man die Teuerung oder gar eine Familiengründung dazurechnet, das Dreifache schreiben. Umfang wie Status der Kritiken nehmen derweil ab, der Servicecharakter zu, die Textsorte nähert sich dem Bericht an, wofür übertriebene Fachkompetenz eher stört. Die Chance, Bundeskanzler oder Germany’s Next Top Model zu werden, ist größer, als jemals eine Redaktionsstelle im Fachbereich Theater zu kriegen.

Wir schreiben trotzdem weiter, als wäre nichts geschehen. Die meisten Theaterkritiken, die ich lese, reproduzieren denn auch Formen, die aus einer andern Zeit stammen. Als es noch Platz gab, hegemoniale Medienkanäle und weniger Verstreuung, keine Partizipation, aber viele unkündbare Tarifverträge. Wir schreiben, als sei das Internet noch nicht erfunden.

Theaterkritik erscheint deshalb zunehmend als Farce, als tragikomische Wiederholung eines ehemals konfliktreichen und konkreten Geschäfts, als Kritik eine Instanz war in der Gewaltentrennung zwischen Theater, Presse und meist kommunaler Politik. Es handelt sich um eine Farce, weil die Kritik nur mehr ein Hobby sein kann, aber gleichzeitig einem strengen Geist gehorcht, den sie weder beerdigen noch zufrieden stellen kann. Man versucht, an manchen Idealen der Theaterkritik festzuhalten. Aber unter den gegenwärtigen Bedingungen ist das unmöglich und vielleicht noch nicht einmal ästhetisch sinnvoll. Übrig bleibt dann oft nur die schlechte Laune.

Es gibt zwei Richtungen, für die man sich gegenwärtig entscheiden kann: mehr Mitte oder mehr Nische. Man kann die Textsorte Theaterkritik weiter normalisieren, wie das jeder Chef, alle mir bekannten Bücher zum Thema und jede Journalistenschule fordert. Weniger assoziativ schreiben, deutlicher vermitteln, mit stets klarer Ansprache auch an jenen Leser, der sich noch nie für Theater interessiert hat. Dieser Prozess ist längst im Gang, er vergrößert weiterhin die Kluft zwischen Kunst und Kritik: Während die Kunst sich seit zweihundert Jahren ausdifferenziert, wählt die Kritik eine stets universalistischere Ansprache. Die Kritik kann der Kunst somit keine Antworten mehr geben. Die Theater haben darauf reagiert: mit Jugendarbeit, mit partizipativen Projekten, mit Diskursreihen und Theoriewochenenden. Und mit Programmzeitungen, die mancherorts professioneller gemacht sind als die Vorschauen der Stadtzeitungen. Aber Öffentlichkeit heißt eigentlich: Gewaltentrennung, Widerstreit, tatsächlicher Dialog, nicht Gespräch mit einer Stimme.

Das größte Rätsel bleibt deshalb, warum sich die Kritik nicht versuchsweise frei macht von ihren Zwängen, wenn das alte Modell so gar nicht mehr funktioniert. Es könnte auch Lust verschaffen, sich von der leitkulturellen Funktion zu verabschieden und nicht mehr gesellschaftliche Mitte spielen zu müssen. In der Zeitung wird das vorerst nicht passieren, die Verleger haben kapituliert, begeben sich fast alle auf dieselbe Flughöhe und werden sich dort gegenseitig abschießen, bis nur noch ein, zwei Leuchttürme übrig sein werden. Im Fernsehen spielt Theater so gut wie keine Rolle. Und das Radio ist vor allem da stark, wo es den Betrieb im O-Ton abbildet. Experimente sind vorerst nur in der Fachpresse und in digitalen Neugründungen denkbar. In den Nischen.

Das alles sagt noch wenig über die Form und über die Textsorte aus. Die klassische Kritik der bürgerlichen Tageszeitung ist eine Form der reflektierenden Distanz. Es geht darum, möglichst individuell und vor allem: unabhängig von der künstlerischen Instanz zu einem argumentierten Urteil zu gelangen. Dazu braucht man zwei Dinge zwingend: Zeit und Publikum. Man braucht eine Leserschaft, die den Aufwand zu bezahlen bereit ist. Beide Bedingungen erodieren. Wollte man grob typologisieren, könnte man sagen: Anstelle der Kritik ex cathedra ist das Gespräch mit allen getreten.

Noch vor 15 Jahren waren Interviews in den Feuilletons der so genannten Qualitätszeitungen mindestens verpönt, oft aber auch explizit verboten. Das Gespräch mit dem Künstler, mit der Künstlerin galt als unjournalistisch, da man dachte: Fragen stellen und sie dann abtippen, das kann ja jeder. Dass man auch in Gesprächen Momente der Distanznahme zur Kunst einbauen kann, haben die Feuilletonisten erst allmählich gelernt oder lernen müssen. Dabei geht es nicht unbedingt um eine konfrontative Gesprächsführung. Wenig finde ich peinlicher im Kulturjournalismus als pseudokritische Fragerei, welcher eine (oft unspezifische) kritische Haltung wichtiger ist als die Kunst. Besonders dann, wenn der Frager von der Kunst gerade nicht so viel Ahnung hat, weil es wieder mal schnell gehen musste.

Sicher liegt auch im Primat der Gesprächsform und des Dialogs ein Fetisch versteckt. Nichts geht mehr ohne Kommentarfunktion, Dialog, Interview, Mitbestimmung. Auch dort, wo das wenig Sinn ergibt. In hochspezialisierten Foren mag es ja noch um Wissenstransfer gehen, in breiteren Kanälen aber vorranging um Triebabfuhr. Und doch wird auch die klassische Kritik hoffentlich nicht anders können, als dialogische Plug Ins in ihrem Denken zu installieren. Kritik wäre dann vielleicht etwas tastender, ohne deswegen gleich dem Künstler um die Beine zu schleichen wie eine Schmusekatze. Kritik aus dem Geist des Gesprächs, das immer erst herauszufinden versucht, worum es dem Gegenüber gehen könnte, bevor man zu einer Haltung findet. Gerade um sich von der Flut der Kommentatoren zu abzugrenzen, die ja in der Regel aus Meinung und Apodiktik bestehen, könnte die Kritik die Meinung etwas in den Hintergrund stellen. Wer regelmäßig auf der Gehaltsliste eines Theaters steht, sollte weiterin auf die Pose der Kritik über das eigene Haus verzichten. Aber die Realität sieht mal so aus, dass Kulturjournalismus ohne ein Portfolio aus verschiedenen Tätigkeiten kaum mehr unter der Armutsgrenze möglich ist. Der Vorteil: Man erfährt wieder etwas mehr, wie Kunst entsteht, wenn man auch mal die Seiten wechselt. Allein, man sollte es dann auch in der Zeitung erfahren (im Blog, im Radio- oder Fernsehbeitrag).

WER KRISE ALS CHANCE SAGT, IST IN DER REGEL POLITIKER UND WIRD AUSGELACHT. Zum Loslassen hilft, wenn wir uns einmal daran erinnern, wie historisch kontingent und kurz die Zeit der vielen dicken Feuilletons war, deren Verlust wir nicht aufhören zu betrauern. Der geistige Um- und Ausbau der Zeitungslandschaft im deutschen Sprachraum war ein durch die lange Hochkonjunktur der Nachkriegszeit begünstigtes Projekt, das Mitte der Sechzigerjahre begann und Ende der Neunzigerjahre endete. Davor ging es auch anders. Und nur anders wird es weitergehen.

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