Das katalanisch-deutsche Autotheaterprojekt „People, Cars & Oil“ in Barcelona

Ein Streik beim Zulieferer in Barcelona verhindert die Produktion einer Firma in Stuttgart. Dieses Ereignis vor einigen Jahren brachte die Leitung des Stuttgarter Staatsschauspiels zum Nachdenken. So also funktioniert Globalisierung anhand eines konkreten Beispiels. Stuttgart ist Daimlerstadt, das wirtschaftliche Schicksal Barcelonas liegt in den Händen von Seat. Eine Idee entstand, eine Koproduktion mit dem Teatre Romea in Barcelona, der künstlerischen Heimat des berühmten Regisseurs Calixto Bieito. Zwei Dramatiker – ein Deutscher und ein Katalane – wurden beauftragt, neue Stücke über Autos und Menschen zu schreiben, also im wahrsten Sinn des Wortes AUTOren zu sein. Anfang Mai wurden sie unter dem Titel „People, Cars & Oil“ in Stuttgart uraufgeführt. Nun reiste das Projekt mit Zwischenstation beim Festival in Salamanca nach Barcelona.

Menschen und Maschinen – Marc Rosichs „Car Wash“

Anfang Juni ist Barcelona bereits von Touristen überlaufen. Die Gassen der Altstadt tönen von der Musik  zum Teil virtuoser Straßenmusikanten, vor der alten römischen Stadtmauer lassen zwei Männer riesige Seifenblasen entstehen, abends bieten auf jedem Meter Menschen Spielzeug, Bierdosen und billigen Sex an. Auch die Taschendiebe sind schon in Sommerform, in Barcelona haben sie es zu bemerkenswerter Perfektion gebracht. Die Theaterleute und ich stehen morgens um 10 in einem Hof. Das Café, in dem wir uns verabredet haben, macht erst in einigen Minuten auf. Ein Mann fragt nach der Uhrzeit. Wir sind alle kurz abgelenkt, schauen auf Handys und Armbanduhren. Kurz darauf stellt einer fest, dass seine Aktentasche samt neuem Notebook fehlt. Die Katalanen kann das nicht schockieren, so etwas hat hier jeder schon erlebt. „Ich habe einmal einen Taschendieb mit der Hand im Rucksack einer Kollegin erwischt“, erzählt Josep Galindo, einer der beiden Regisseure. „Er hat mich ganz beleidigt angesehen. Als ob er sagen wollte: Stör mich nicht, ich arbeite.“

Schwung für die Geisterstädte

Humor in unangenehmen Situationen, Scherze vor ernsthaftem Hintergrund – das macht auch den Reiz beider Stücke aus. In Marc Rosichs „Car Wash“ greift eine Frau, die auf einem Schrottplatz herumgeistert, einer anderen dreist in die Hosentasche. Sie wird erwischt, aber niemand ist ernsthaft sauer. Sie kriegt sogar eine Münze, um sich an einem Automaten einen Snack zu ziehen. Marc Rosich arbeitet oft mit Calixto Bieito zusammen, ein bärtiger, fröhlicher Mann, der große Kommunikationslust ausstrahlt. Er soll sogar in der richtigen Stimmung ganze Wagnerarien in Originalsprache singen. Doch an diesem Vormittag spricht er Englisch, temperamentvoll, schnell, ganz so wie später seine Figuren auf der Bühne wirken. Rosich erzählt von Geisterstädten, die überall in Katalonien entstehen, von verlassenen Geschäften, verfallenden Firmen, übrig gebliebenen Menschen. Er hat einige besucht und mit ihnen geredet. Und dabei heraus gefunden, dass niemand jammert oder das System in Frage stellt. Im Gegenteil, viele bejubeln den Kapitalismus. Wie die beiden Frauen in seinem Stück, die eine alte Waschanlage wieder in Schwung bringen wollen. Sie lassen sich nicht hängen, platzen vor Energie, sind sogar bereit, auch sich selbst zu verkaufen, damit das Geschäft los geht.

Die vier von der Waschanlage: Das Damenensemble von „Car Wash“

Die politische Bedeutung der Sprache

Das Stück setzt auf Wortwitz, Rosich vermengt die Sprachen Katalanisch und Spanisch, was sich kaum  bis gar nicht übersetzen lässt. Eine schwierige Aufgabe für die Regisseurin Annette Pullen, die sich mehr auf den Autor und die Schauspieler verlassen musste als in deutschsprachigen Produktionen. „Manchmal saß er mit seinem Laptop auf der Probe“, erzählt sie, „und hat einzelne Sätze geändert, sie zum Beispiel doch auf Spanisch sprechen lassen, weil sie dann pointierter klingen.“ Die Wahl der Sprache hat politische Bedeutung. Denn unter der Franco-Diktatur war Katalanisch verboten, Aufstände in Barcelona wurden blutig unterdrückt. Nicht weit vom Teatre Romea gibt es eine Steinwand, in der noch Einschüsse zu sehen sind, kleine Kugellöcher und ganze Krater. Hier wurden Widerstandskämpfer exekutiert. Auf ihr Erbe sind die Einwohner Barcelonas bis heute stolz. Nun tritt im Stück eine junge Frau auf, die keine Ahnung hat, wer Franco war. Sie spricht als einzige Spanisch. Das hat einen historischen Hintergrund. Als die Seatwerke gegründet wurden, befahl der Diktator, dass dort keine Katalanen arbeiten durften und Gastarbeiter aus Kastilien geholt werden mussten. Manche passten sich an und lernten Katalanisch, wie der Vater einer der beiden Frauen, die nun die Waschanlage betreiben. Aber die junge Frau spricht das Gossenspanisch einfacher Leute, ihre Eltern wollten sich nicht integrieren. Am Abend explodieren die Zuschauer vor Lachen, wenn die junge Schauspielerin Mirèla Pámies das Klischee der hübschen Hohlbirne lustvoll bedient. Weil sie die Hintergründe kennen und jede Anspielung verstehen. Das war in Stuttgart nicht so, wo „Car Wash“ freundlich und warmherzig aufgenommen wurde, aber nicht so eine direkte Wirkung hatte wie in Barcelona. Auch beim Gastspiel in Salamanca waren die Reaktionen nicht so euphorisch. „Wir hatten sogar Angst, dass Zuschauer den Saal verlassen, wenn sie merken, dass fast nur Katalanisch gesprochen wird,“ erzählt Annette Pullen. Das ist nicht passiert, aber „ich habe gemerkt, was für eine politische Bedeutung allein die Wahl der Sprache haben kann.“

Workaholics und Waldorfschulen

Auch Josep Galindo, der Regisseur des zweiten Stücks, musste sich in eine unbekannte Welt einarbeiten. „Das Gestell“ des deutschen Autors Soeren Voima parodiert ein linkes Ehepaar, ehemalige Attac-Aktivisten, im Prozess der Verbürgerlichung. Torben hat einen Job bei Daimler-Benz bekommen und will ein Elektroauto entwickeln, die Automobilindustrie von innen revolutionieren. Er beginnt, 16-Stunden-Arbeitstage für normal zu halten und kauft sich sein erstes Auto, weil es ja so praktisch und billig ist mit Mitarbeiterbonus. Sein schlechtes Gewissen beruhigt Torben, in dem er sein Kind auf eine Waldorfschule schickt. Damit es nicht gleich in das System von Noten und Wettbewerb gezwungen wird. Währenddessen schwankt seine Frau Imme zwischen Anpassung und Opposition, rutscht immer weiter in den Wahnsinn, bis sie schließlich das Haus mit kranken Tieren vollstopft. Ein böses Gesellschaftsporträt, über das sich das Stuttgarter Publikum vor Lachen ausschüttete. Weil es sich bis in die kleinsten Details wieder erkannte. Josep Galindo war überrascht. Diese Reaktion hatte er nicht erwartet. „Ich habe mit den Schauspielern lange sehr ernsthaft und psychologisch an den Figuren gearbeitet.“ Genau das hat wahrscheinlich die Glaubwürdigkeit gebracht, auf deren Basis sich die Komik erst entwickeln konnte.

Die Daimler-Ektase: Das Stuttgarter Ensemble in „Das Gestell“

In Barcelona allerdings kennt Josep Galindo solche Charaktere nicht wirklich. Auch die Neigung reicher Leute, ihre Kinder in religiös angehauchte Privatschulen zu geben, ist in Katalanien nicht besonders ausgeprägt. Galindo musste sich viele Schichten des Textes erarbeiten, einige Anspielungen sind ohnehin nur in Stuttgart verständlich. Dass es sich bei den unglaublichen Kitschquatschversen eines Möchtegerndichters namens Christian Wagner nicht um einer Parodie handelt, sondern um Originalzitate, dass es diesen Wagner wahrhaftig gibt, musste auch mir Stuttgarts Intendant Hasko Weber in der Pause der Aufführung erklären. In Stuttgart kennt man diesen Heimatpoeten, der hat sogar respektable Auflagen.

Konkrete Satiren

Beide Autoren haben also konkret für ihre Städte geschrieben, für ein Publikum, das ihre Anspielungen versteht. Lustigerweise gibt es in den Texten zwar einige fast gleich lautende Sätze. „Wenn die Seat niest, kriegt das ganze Land eine Erkältung“ gibt es auch mit Daimler und Stuttgart. Aber weder Marc Rosich noch Soeren Voima haben globalisiertes Theater im Sinn gehabt, Stücke, die überall funktionieren, weil ihre Botschaften universell verständlich sind. Solche Projekte leiden oft unter Glätte und Beliebigkeit. Gerade Satiren funktionieren am besten konkret. Und so entschieden sich die Theatermacher in den verschiedenen Spielorten für eine andere Reihenfolge. In Stuttgart lief zuerst „Carwash“, dann „Das Gestell“, in Barcelona war es umgekehrt. Also immer zuerst die für das Publikum fremdsprachige Produktion, in der direkte Reaktionen durch das Lesen von Übertiteln gebremst wurden. Und dann kam das Heimspiel.

Groteske Psychopathen

Abends im Teatre Romea: Marc Rosich läuft durch das Haus, begrüßt Freunde, scherzt, winkt. Auch Josep Galindo bleibt nicht hinter den Kulissen. Die Atmosphäre ist offener, kommunikativer, lockerer als bei deutschen Premieren. Die Theatermacher suchen den direkten Kontakt, wie es bei uns eher im Off-Theater üblich ist. Zu Beginn läuft die deutsche Ansage mit der Erläuterung, dass es zwei Stücke gibt. Eine kleine Irritation, am Ende des ersten Teils greift sich Marc Rosich schnell das Mikrofon und erklärt das Gleiche noch mal auf Katalonisch, damit keiner abhaut. Soeren Voimas Stück ist für fremdsprachige Besucher harte Arbeit. Eine dichte Mischung aus Erzählerprosa und Szenen, viel Text, eine Menge Lesestoff in den Übertiteln. Doch die Schauspieler packen das Publikum von Anfang an, mit großer Spielenergie. Til Wonka taucht als Erzähler und Hausfreund Karl im Saal auf, spielt trotz Fremdsprache manche Zuschauer direkt an. Das Publikum wird gefordert, es gibt keine Kompromisse. Und es funktioniert. Die Aufführung kommt allerdings anders an als in Stuttgart. Sie wirkt – wenn man den Berichten von den Lachsalven im Schwäbischen Glauben schenkt – düsterer, bitterer, hoffnungsloser. Da stehen Psychopathen auf der Bühne, die die Welt retten wollen und sich doch nur selbst demontieren, ihr Leben und das der anderen zerstören. Was in erster Linie tragisch, zwischendurch grotesk und auch witzig ist, aber der Humor ist sehr gallig.

Kämpferinnen statt Weicheier

Ganz anders nach der Pause. Die Zuschauer gehen sofort  mit, die katalonischen Schauspieler blühen auf, die Pointen sitzen, oft erinnert die Aufführung an einen Almodovár-Film. Mit gewaltiger körperlicher Präsenz spielen die Darsteller oft direkt ins Publikum, beziehen die Zuschauer ein, ohne die Bühne zu verlassen. Die Ausstatterin Rebecca Ringst, die das Bühnenbild zu beiden Stücken entworfen hat, verfremdet die Waschanlage zu einem Schrottplatz der Automaten. Wie eine riesige Müllskulptur liegen sie durcheinander, ein Berg verrottender Technik, in den versprengte Menschen ihre letzte Hoffnung setzen. Hier könnte auch ein Beckett-Stück spielen, aber Marc Rosich und das tolle Ensemble geben Dampf. Alle sind heftig bereit, ihre nicht vorhandenen Chancen zu nutzen und sich dafür zu zerreißen. Annette Pullen inszeniert Show- und Kabarettnummern, grell, kraftvoll, bodenständig. Hier gibt es keine Weicheier, sondern Kämpferinnen. Kurz vor Schluss gelingt es, eine zuvor schlaff herunter hängende Waschstraßenbürste in Gang zu setzen, und einen Moment lang scheint die Rettung möglich. Das bleibt hängen, auch wenn der kurze Rausch verfliegt. Am Ende teilen sich alle einen Schokoriegel. Wer das für banal hält, hat nichts kapiert. Denn hier herrschen Solidarität und Respekt. Diese Leute werden noch lange überleben.

Menschen suchen nach dem Vorwärtsgang. Und rutschen immer wieder in den Leerlauf. Aber die Handbremse haben sie gelöst. Vielleicht fahren sie vor die Wand. Aber sie bewegen sich. Mit und ohne Öl, mit und ohne Auto. Das Projekt von Barcelona und Stuttgart überzeugt durch den Mut zur Komplexität und den Spaß daran, nicht alle Details ausloten zu müssen sondern auch mal mit grobem Pinsel und kräftigen Farben zu arbeiten. Das Theater hat vollgetankt.

Tags: , , , , , , , , , , ,

0 Comments

leave a comment

You must be logged in to post a comment.