von Heike Schmidt, Projektleiterin und Chefdramaturgin an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt

Als im Januar 2009 der Startschuss für die Förderung des Projektes „Frau Luna“ durch die Bundeskulturstiftung im Fonds Wanderlust gegeben wurde, stand fest, dass die deutsch-polnischen Beziehungen bei uns in Schwedt an der Oder eine neue Qualität erfahren würden.

Wie das allerdings konkret aussehen würde, wusste keiner genau. Denn schließlich arbeiteten wir schon seit Jahren mit unseren polnischen Theaterkollegen zusammen, holten uns polnische Kinder als Zuschauer ins Weihnachtsmärchen und gastierten ab und zu an Theatern in Szczecin. Es gab also bereits eine Tradition der Zusammenarbeit bis hin zur Freundschaft auf der einen Seite – es gab und gibt aber auch den Alltag in Schwedt und Krajnik Dolny – der ersten Station hinter der Oder -, bei uns im Theater wie auch anderswo: nämlich die Schwierigkeiten des Verständnisses für einander, abgesehen von den Sprachproblemen, die zumeist recht einseitig auf der deutschen Seite liegen.

Da ist auf beiden Seiten diese Abneigung gegenüber dem Anderen, dem Fremden, dem auch historisch Feindlichem und die letztlich immer wieder auflebenden Klischees: die Polen klauen, die Deutschen wollen letztlich wieder die Polen vereinnahmen etc. …

Wie wollten wir also diese Schere zwischen Anspruch und  Realität schließen?

Natürlich ist das ein Prozess und geht nur Schritt für Schritt. Über einen – vielleicht bedeutsamen Schritt – soll hier berichtet werden:

Zur zweiten Vorstellung des deutsch-polnischen Theaterstücks „Pommerland ist abgebrannt“ am 26. September nachmittags reisten aus der benachbarten polnischen Kleinstadt Chojna 55 Zuschauer im eigens dafür gemieteten Bus an. Der polnische Verein Terra Incognita hatte in Zusammenarbeit mit uns rege Werbung für dieses Theaterstück gemacht, das sich in besonderer Weise mit der deutschen und polnischen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte auseinander setzt und sich dem Thema widmet: Was ist Heimat?

Der polnische Regisseur und Mitautor Cezary Morawski fuhr im Vorfeld der Premiere zu einem Gesprächsabend nach Chojna in die Bibliothek. Die Zuschauer strömten zu diesem Gespräch, nicht zuletzt auch deshalb, weil Cezary Morawski in Polen ein Fernsehstar ist. Und sie buchten Karten für die Vorstellung in Schwedt.

Verbunden mit der Vorstellung war von vornherein ein anschließendes Gespräch mit dem Publikum, das von Magda und Przymek vom Verein Terra Incognita geleitet wurde. Damit stand auch fest, dass die polnischen Zuschauer, die im „intimen theater“ von 99 Plätzen  eindeutig die Mehrheit darstellten, geschlossen da bleiben mussten.

Die Vorstellung lief unter erschwerten Bedingungen. Zum einen, weil das Textlaufband nur zur Hälfte funktionierte, zum anderen, weil leider einer der polnischen Besucher einen krampfartigen Anfall erlitt. Die Vorstellung musste unterbrochen und der medizinische Notdienst gerufen werden.

Also wahrlich ein nicht gerade komplikationsfreier Theaternachmittag für eine solch große Gruppe polnischer erwachsener Zuschauer, die wir erstmalig  im Haus begrüßen konnten.

Trotzdem war der Beifall groß und die Betroffenheit über die angesprochenen Themen wahrnehmbar.

Im anschließenden zweisprachig geführten Publikumsgespräch hielten sich die polnischen Zuschauer zunächst sehr zurück. Es fiel auf, dass sie wirklich erstmal warteten: was kam denn da von deutscher Seite. Wie wurde gerade die sensible Nachkriegsgeschichte gewertet.

Nach und nach im Verlaufe dieses fast zweistündigen Gesprächs erfolgte jedoch eine Veränderung, die merkbar wurde. Nicht zuletzt lag diese natürlich auch an den polnischen Moderatoren Magda und Przymek. Die polnischen Zuschauer meldeten sich zu Wort, sie suchten den Kontakt, sie sprachen über ihre Empfindungen zum Thema Heimat. Und sie trafen sich in mehreren Punkten mit der Meinung des deutschen Publikums: das Thema brannte auf den Nägeln, viele hatten Ähnliches erlebt. Endlich kam es zur Sprache in einer Art und Weise, die Polen wie auch Deutsche gleichermaßen betraf und berührte.

Am Ende des Gesprächs verließ eine sehr gelöste, fast heitere Gruppe polnischer Zuschauer unser Haus mit dem festen Willen, den Kontakt nicht wieder aufzugeben.

Jetzt sind wir in der Überlegung, wie wir langfristig diese Publikumsgruppe über weitere Inszenierungen und Veranstaltungen an unser Haus binden. Die Zusammenarbeit mit dem Verein Terra Incognita wird ausgebaut, die Anschaffung eines Textlaufbandes wird in Angriff genommen, um die Sprachbarriere zu mindern.

Aber zunächst starten wir noch eine andere Feuerprobe mit unserem Stück. Wir fahren nach Warschau und stellen es dem dortigen Publikum vor. Das Textlaufband wird diesmal funktionieren. Ob es das Publikumsgespräch im Anschluss auch wird – darauf sind wir gespannt.

Der Reisebus wartet schon.

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