von Bernhard Stengele

Es ist 6.00 Uhr, auf die Sekunde genau 6.00.
Bern, am 26.01. 2012. Ein kleines Hotel, das “Kreuz” heißt: Teppichboden grau, Zentralheizungsluft, aufgehängter Flachbildschirm, Wasser kostet viel Geld, der Manager von Nestle findet das richtig, deshalb sollen auch nur Menschen Wasser kriegen, die es bezahlen können. Aber man kann, glaub ich, das aus dem Hahn trinken. Es trieb mich aus dem Bett hinaus. Zum ersten mal seit Monaten der Impuls wieder zu schreiben von Les Funerailles du desert.

Eigentlich wollte ich ja viel früher, um die Premiere herum am 07.01. Und es hätte ja viel zu berichten gegeben, aber ich konnte nicht, weiß der Geier warum. Jetzt treibt es mich, vielleicht ein letztes Mal. Ich werde hinfliegen zur Dernière, werde diesen Irrsinn auf mich nehmen. Fliege morgen am Freitag, komm am Dienstag zurück. Ich bin froh. Es ist ein gute Entscheidung. Die Produktion hat es verdient, die Darsteller, die mich vermissen. Und ich habe es auch verdient und ich vermisse sie auch, die Darsteller, die Produktion. Ich vermisse Les Funerailles du desert.

Bern in der Schweiz. Vor knapp drei Wochen stand ich auf einer Bühne in Ouaga im Freien unterm Vollmond und habe als Erster Mensch in Westafrika öffentlich das Wort Homosexualität ausgesprochen. Seither ist es kein Tabu mehr. Es ist ausgesprochen, es ist da: ein historischer Moment.

Warum ich? Ich musste einspringen, ein Darsteller war krank. Freust Du dich? hat mich Christa gefragt. Nein, es hat mich nicht gefreut. Als ich dann spielte, habe ich es mehr als gerne getan, ich habe es genossen. Irgendwann, während ich spielte, schaute ich hoch und sah den Vollmond und dachte: merks dir. Eine Woche später schon konnte ich das Erlebnis gut gebrauchen. Im Goethe Institut in Ouagadougou gaben Katja, Tobias und ich ein Konzert: deutsche Balladen und Lieder. Unter anderem: die Erinnerung an Marie A von Brecht. Auf die mehr als verständliche Frage einer burkinischen Studentin (es war so eine Art moderiertes Konzert) was das denn für ein Trottel von Mann sei, der sich nicht an das Gesicht seiner Geliebten, sondern nur an diese Wolke erinnere, antwortete ich, dass in meiner Erinnerung an Les Funerailles du desert ein Vollmond bleiben wird. Wie die Wolke des lyrischen Ichs beim Gedicht, wird mir dieser Vollmond bleiben und wenn ich ihn sehe…. Kitsch ist meiner Meinung nach ein austauschbarer, ungefährer, Sentiment hervorrufender Trigger, um sich spüren. Das ist kein Kitsch, sondern ein Augenblick der höchsten Konzentration von Leben. Jahre von Arbeit, Mühe, Freude, Lust – dieser Vollmond. Die Studentin und das gesamte Publikum waren mit der Antwort sehr zufrieden.

Es gibt eine Brecht-Truppe an der Uni in Ouagadougou! Ja, echt. Denen gab ich einen Workshop, so kam auch dieses Konzert zustande. Sie wussten nicht viel über Brecht, aber ausgerechnet, dass er viele Frauen hatte. Ich habe vom epischen Theater gesprochen, das fanden sie sehr interessant, vom Verfremdungseffekt, der im afrikanischen Theater selbstverständlich ist, und dann erarbeitete ich eben die Marie A. mit ihnen und wir sprachen darüber, warum Pflaumenbaum in Europa eine erotische und eine Lebensmetapher ist.

Dieses Konzert – Katja, die von mir so Verehrte, 152 cm hoch, 43 kilo schwer, immer mit Zigarette im Mundwinkel und unheilbarem Krebs im Leib…
Pause.
Nochmal Katja Bouscarrut, klassische Pianistin, spielt Debussy, Schumann, Amrod und Schubert auf einem Clavinova, Tobias Schirmer spielt phaenomenal Schlagzeug dazu und wir verbinden durch ein Schlagzeugsolo den Choral vom Manne Baal mit dem Erlkönig. Auch so ein Wolkenerlebnis – hier ist die Wolke die Zigarette und sie ist sehr beißend und bitter.

Seit gestern, Mittwoch, läuft die letzte Vorstellungsreihe im CITO. Sie schicken jeden Abend Leute weg, es bilden sich immer schon eine halbe Stunde vor Einlass Schlangen. Die Stimmung ist für burkinische Verhältnisse gereizt, die Leute wollen rein. Paul Zoungrana (der burkinische Autor) sagt, es läge daran, weil alle die drin waren, unbedingt ihren Freunden dieses Stück zeigen wollen, wo Moore und Deutsch! gesprochen wird, das so lustig diese Qual der Familie zeigt. Und wo gezeigt wird, was mit den Entwicklungsgeldern passiert. Und wo Frauen lesbisch werden (ja, da müssen Frauen Frauen spielen, die Frauen lieben, ja, auch eine schwarze Frau – unglaublich). Und wo Thomas Sankara zitiert wird und alle sprechen mit.

Papa Thomas, den sie alle verehren, den Ermordeten, den sie vermissen, den Gerechten und auf den sie warten….

Paul ist glücklich. Den Leuten gefällts. Er war nicht sicher, gar nicht sicher. Er hat wirklich heiße Eisen angepackt. Vor der Premiere in Ouagadougou hat er die Schauspieler verrückt gemacht, das würde nichts, es wäre langweilig, man versteht nichts, zuviel deutsch, zuwenig französisch und überhaupt. In der Nacht vor der Premiere, gesoffen mit Schauspielern aus der Produktion, hat er sie mit einer seiner berühmten Suaden bedacht.

Einer kam am nächsten Tag, verunsichert, ich musste ihn beruhigen, dabei ging mir selbst die Muffe. (Nebenbei: die Probe die er gesehen hatte, war auch Scheiße. Vor allem die Burkinabe dachten, sie hättens im Sack, mit Kippe und Bierflasche in der Hand zun Training, gehts noch?) Interessant – Paul war in Würzburg total cool, fands spitze, aber dort guckten auch nicht seine Freunde zu. Wie einfach die Dinge sind.
Die Premiere ging mehr als gut, das Fernsehen stürzte sich auf uns. (Überspringt Westafrika das Lesen? 75% Analphabeten können alle fernsehen und auch Rechner bedienen, und können nicht lesen, ja, das geht, vielleicht werden sie es nicht brauchen.)

Und die Darsteller spielten sich frei. Die deutschen Schauspieler fingen an, immer größer zu spielen, sich der Spielweise der Burkinabe mehr und mehr anzunähern. Zurecht, bei dem Lärmpegel kannst Du nicht schmal bleiben. Ich musste oft an Molière denken, an Shakespeare: das Ding muss gefallen und zwar den Leuten, sonst gefaellts nämlich keinem. Die Kritik macht hier keine Karrieren. Und dazu muss es laut und groß genug sein, sonst hört und sieht es ja keiner. Also adäquat spielen und auch die Europäer haben ihn, diesen Bühneninstinkt und hauen drauf, was das Zeug hält und – oh Wunder: es ist nicht zu viel! Naja – ein bisschen korrigieren muss ich schon…vor allem die Afrikaner, die glauben und noch ein Witz und noch einer würden das Stück verbessern, wie die Kinder…

Dieses Publikum verführt aber auch: gehen auf die Bühne um Blitzlichtphotos zu machen, springen vor Lachen auf und drehen eine kleine Runde, gestikulieren wild, Babies werden gestillt und Telefonate geführt. Wie schnell alle Darsteller das akzeptieren! Vielleicht, weil sie spüren, dass es nicht Missachtung ist, sondern mangelnde (??) Konditionierung. Es macht allen großen Spaß, die Burkinabe sagen aber auch, dass die Konzentration in Würzburg etwas Wunderbares war und die gute Luft und überhaupt vermissen sie es doch auch ein bisschen. Anna, die Grundbegeisterte, meint, große Kakerlaken in der Rumpelkammer namens Gemeinschaftsgarderobe, die sich ins Haar fallen lassen, brauche sie nicht jeden Tag, auch keine halbverfaulten Ratten, nicht die Malarone Tabletten… Warum nur sind alle froh? Warum?… pas de reponse, il faut le dire!

Ich schaue auf die Uhr: 07.42, Bern, Hotel Kreuz, ein neuer Tag beginnt, der tägliche Kampf beginnt, ticktack!
Morgen flieg ich nochmal hin, zur Produktion Les Funerailles du desert am CITO Theater in Ouagadougou, in Burkina Faso, Westafrika, ich freu mich…..

PS: einmal machen wir nachts eine Stadtrundfahrt und fahren durch Ouaga 2000, eine Trabantenstadt, pompöser als das Regierungsviertel in Berlin, unglaublich. Eine von tausenden Straßenlampen gesäumte, vierspurige Asphaltallee, die auf den Präsidentenpalast zuführt, verschlägt einem den Atem und die Laune – das sind die Entwicklungs- und Bestechungsgelder Europas und der Welt, in einem der ärmsten Länder verbraten für diese steingewordenen Skandal. Heh Präsident Wulf, der du schief in der Botschaft hängst, man nimmt keine Vergünstigungen an, in welchem Maß auch immer – Scheiße !

Paul und ich wollen weiterarbeiten – an einem Stück über Thomas Sankara, er meint die Zeit wäre reif… Hier und dort, ergänze ich. Und wir werden wieder lachen, das lässt sich nicht verbieten, sagen wir – wie bei Molière.

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