10.7   von Bernhard Stengele

Manchmal ist es das Reisen vor dem Reisen, das mich durcheinanderbringt.

Eine großartige letzte Vorstellung von den Vögeln mit anschließender Feier. Der Bürgerchor nimmt Abschied. Soviel Begeisterung – schönes Wort eigentlich Be-geist-erung.

Und wir sind das couragierteste Theater in Bayern. Ja, ich wiederhole es solange, bis es alle gehört haben, denn jahrelang wurde man bis zuletzt mit diesem Krisengequatsche zugeballert und dieser Provinzgenügsamkeit und dieser Hierarchie der Städte und der Künste in Deutschland , als ob mit der Bombardierung am 16.03.45 jegliche Zukunftsmöglichkeit erloschen wäre.

Und so viele Papiere soll ich mitnehmen nach Ouagadougou, wo Regenzeit ist und die Moskitos warten und Verträge und Bilder, also professionelle Bilder soll ich machen, ausgerechnet ich. Ich muss meinen Geist umstellen auf Organisation, auf Listen und Abhaken. Also ab nach Berlin.

Ich treffe die Autorin Lilith Jordan, auf einem Stadtstrand beim Hauptbahnhof, bring sie auf den letzten Stand, suche anschließend dieses Flughafenhotel, das kompliziert zu finden und nur mit Klimaanlage zu beschlafen ist, weil zuviel Verkehrslärm. Schlafe schlecht.11.07

Impfpass vergessen, Mist! Herumtelefonieren, dann ab zum Botschafter von Burkina. Ich bin zu früh da, er empfängt mich und spricht eine Stunde über unser Projekt. Endlich bin ich wieder im Thema:  Sprache – was bedeutet Muttersprache, was heißt Heimat, Vaterland, Dorf, Stadt, er lacht viel und herzlich, macht einen bescheidenen Eindruck, redet dann sehr konzentriert zum Thema zunehmende Ausbreitung der Sahelzone, Trockenheit und die schlechten Aussichten für sein Land.

Ich weiß, dass Burkina autoritär und pseudodemokratisch regiert wird, ich kenne die Geschichte um Thomas Sankara, ich spreche mit einem Regierungsvertreter. Das ist schon Poltik durchfährt es mich. Ich behalte meine offene Art, als ich anfange ein wenig über die Unterschiede in unseren Ländern zu sprechen. Er will zur Premiere kommen, gut.

Danach treffe ich mich mit Regisseur und Freund Stephan Suschke, wir sprechen über Hermannschlacht, Heiner Müller, Brecht, gebundene Sprache. Er hat grade ein Stück geschrieben in Versen das im Herbst in Ulm zur Uraufführung kommt: Rommel/Homburg/Tod/Traum.

Ich erzähle ihm vom Pathos des Paul Zoungrana, einem unserer Funerailles Autoren und wir sprechen über unsere gemeinsame Sehnsucht nach starken Texten.

Er liest einen Hitlermonolog vor, ich finde ihn stark.

Pankow ist erstaunlich schön, so grün, ich war noch nie dort.

Und wieder ruft irgendjemand an und will Dinge wissen, die erst in Monaten und auch dann nur bedingt relevant sind. Verdammt, wir sollten den Dingen ihre Zeit geben! Das Stadttheatersystem ist ein so merkwürdiger Zwitter und jeder der aufrichtig und klar nachdenkt weiß um die große Lüge darin: ein System, das sein ureigenstes Thema – nämlich Kunst – weniger ernst nimmt, als die Belange des öffentlichen Dienstes im allgemeinen. Was für eine Mühe es ist im Theater immer wieder durchsetzen zu müssen, dass es um das Theater geht. Als ob wir eine nicht systemrelevante Unterabteilung eines Großbetriebes wären, der was ganz anderes herstellt.

Ich fahre zur Volksbühne: rechts – links – oben – steht da auf großen Fahnen, gut so, ich kann grade etwas Orientierung gebrauchen.

Ich treffe mich mit einer Regiestudentin von der BUSCH die bei uns arbeiten soll, eine Kooperation, wir geben jungen Regieabsolventen eine begleitete Chance. Gutes Gespräch – das kann was werden.

Danach ins Hotel – der Weg wird nicht einfacher nach Tegel.

12.07.11

Abflug nach Ouaga. Der Impfpass ist gekommen per Kurier, macht 200 Euro. Mein erster Fehler. Das ist ärgerlich, aber verzeihlich.

Wir fliegen pünktlich um 07.15 ab.

Dann dieser Flug, erst nach Paris, dann brauche ich die 100 Minuten Umsteigezeit um umzusteigen, wirklich voll die Hütte, dann Abflug. Ich sitz neben dem Klo, ja, klar, an Ruhe ist da nicht zu denken, das rauscht da, jeder rumpelt mich an, aber ich reg mich nicht auf und tatsächlich merk ich es irgendwann gar nicht mehr.

Ich will schreiben, geht aber nicht, der Laptop ist zu groß, so guck ich Filme und Serien und genieße das Essen. Wirklich – es ist nicht gut, aber es ist wie Ravioli beim Zelten, es muss einfach genau so sein.

Zwischenlandung in Niamey.

Niamey, was für ein Wort! Hat das nicht Tanja Blixen erfunden, als sie mit Hemingway im Busch Löwen erlegte: „Ernest, ich sag nur Niamey“.

Mitten in der Steppe, heiß und einsam liegt dieser Flughafen. Ich habe Kopfweh, aber es geht mir gut, ja, ich fange an mich zu entspannen.

Vor der Ankunft in Ouaga reibe ich mich sorgfältig mit Antibrumm ein. Der Moment am Flughafen ist gefährlich, weil voller Überforderung. Da sind die Moskitos da, um die Touristen und Fremden zu begrüßen.

Ouagadougou!

Ich steige aus dem Flugzeug. Da ist er, dieser schwer beschreibliche Geruch aus Wärme, Staub, Sprit und ich weiß nicht was.

Dick ist das Wort, das mir einfällt. Dick ist diese Luft, wie eine dicke Mutter umarmt sie mich. Nicht, dass das immer schön wäre, aber es ist ein Eindruck, dem man sich nicht entziehen kann. Es geht gegen Abend, die Farben sind orange rot, grau, wieder läuft eine Welle der Entspannung durch mich durch. Ich bin der letzte am Schalter. Macht nix. Es sind diese Momente, Radwechsel nennt es Bertolt Brecht, dieses kurze Anhalten im Leben, so ein Nichtmoment im Niemandsland, in denen die Geschichte noch mal abläuft. Der Tod meiner Mutter, die Einladung eines Freundes in den Senegal, acht Jahre später bin ich in Ouagadougou, einer Stadt die merkwürdigerweise ohne irgendeine Attraktion zu haben so sprechend, so vielsagend ist. Sie ist so extrem aktuell, in ihrer Armut, mit den Millionen von Mobiltelefonen und Mopeds und Luxuskarossen und unglaublichen Rostlauben, mit ihrem Lärm und in ihrem Kauderwelsch, ist sie wie unsere Welt, widersprüchlich bis zur Lächerlichkeit. (Der burkinische Botschafter war übrigens immer noch sauer auf Steinbrück, der ja jetzt Kanzler werden will, da muss er sich diplomatisch aber verbessern.)

Ouelgo, Rachelle, Mamoudou und Adama holen mich ab, Freunde, Kollegen und Partner. Natürlich ist es eine geliehene Freundschaft auf Zeit bei mir, wie bei ihnen. Das macht es nicht geringer. Ich freu mich von ganzem Herzen, denn wir haben Großes vor.

Das Hotel ist auf den ersten Blick so wie es heißt: Jardin du Koulouba.

Ab zu Boulougou, dem besten Biohähnchen, das ich kenne. Zwei Bier, die Kopfschmerzen vergehen nicht, aber macht nix. Mücken bisher keine, schlafen und ein wenig aufgeregt sein. Ich bin wirklich erschöpft.

BAMAVAGAZANA

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