Comments on: Erdbeersonntag: Eine polnisch-deutsche Annäherung http://www.wanderlust-blog.de/?p=5654 International Theatre Partnerships Wed, 07 Nov 2012 09:52:39 +0000 http://wordpress.org/?v=2.9.1 hourly 1 By: Wolfgang Peschke http://www.wanderlust-blog.de/?p=5654&cpage=1#comment-470 Wolfgang Peschke Mon, 22 Oct 2012 14:33:29 +0000 http://www.wanderlust-blog.de/?p=5654#comment-470 Bydgoszcz - Ein Wochenende im Oktober 2012 Auf den Gedanken, Bromberg - den Geburtstort unserer Großeltern - aufzusuchen, sind wir schon vor geraumer Zeit gekommen. Nun endlich, an einem Wochenende Mitte Oktober 2012, haben wir uns auf den Weg von Berlin ins polnische Bydgoszcz gemacht. Dass wir dabei, historisch betrachtet, in nicht unproblematische Gefilde aufbrechen würden, war uns natürlich klar. Man braucht nur an die drei polnischen Teilungen 1772, 1793 und 1795 zu denken, in deren Ergebnis der polnische Staat als Repräsentant des polnischen Volkes von der Landkarte verschwand. Neben Russland und Österreich war auch das deutsche Königreich Preußen maßgeblich an der Liquidierung des polnischen Staates beteiligt und sicherte sich schon 1772 durch die Einverleibung des protestantischen Westpreußens eine Landverbindung zwischen Pommern und Ostpreußen. So gelangte auch Bromberg in den deutschen Machtbereich und gehörte bis nach dem 1. Weltkrieg und dem Versailler Vertrag für ca. 150 Jahre zu Preußen. Seit der Gründung der Zweiten Polnischen Republik 1918 dann ist Bromberg wieder polnisch, nur unterbrochen für die 6 Jahre der deutschen Besatzung zur Zeit des 2. Weltkrieges. Wie die meisten Angehörigen der deutschen Bevölkerung in Westpreußen, so haben auch unsere Großeltern nach 1918 ihre Heimat Bromberg verlassen. Wenn uns dieser Umstand auch bekannt war, so hatten wir doch kaum eine Ahnung davon, welch schweres Schicksal viele Menschen damals zu tragen hatten mit dem Verlust ihrer Heimat. Die massenhaften Vertreibungen deutscher Menschen nach dem Fiasko des 2. Weltkrieges aus den deutschen Ostgebieten waren uns dagegen eher bekannt. Von einem Phänomen namens Bromberger Blutsonntag hatten wir allerdings noch so gut wie nichts gehört. So kamen wir also reichlich unbeschwert und frohen Mutes mit den Namen unserer Großeltern im Gepäck in Bydgoszcz an und quartierten uns in einem prächtigen Hotel vom Ende des 19. Jahrhunderts im Zentrum des alten Bromberg ein, im Hotel „Pod Orlem“. Im Zuge unserer Ahnenforschungen hatten wir das Glück, einem alten deutsch-polnischen Ehepaar zu begegnen, das mit ehemaligen Brombergern aus Deutschland beim Frühstück saß und sich auf eine abendliche Theaterpremiere einstimmte, die den Bromberger Blutsonntag zum Thema haben sollte. Neben wertvollen Hinweisen zur Vorgehensweise bei der Suche nach den ehemaligen Wohnorten unserer Großeltern wurde bald auch unser Interesse am deutsch-polnischen Theaterstück geweckt. Die Tatsache, dass Teile des Stückes in Deutsch abgefasst sein würden, nahm uns schnell unsere Zurückhaltung, und dass die Premiere selbstverständlich völlig ausverkauft sei, konnte uns ebenfalls nicht von einem Theaterbesuch abhalten. Eigentlich hätte man uns keine Karten verkaufen dürfen angesichts der überfüllten Probebühne des Polski Teatr. Freundlicherweise tat man es dennoch, wie man uns überhaupt sehr auffallend freundlich und hilfsbereit begegnet ist in diesen Tagen in Bydgoszcz. Im Publikum waren einige Deutsche zu finden, die uns bereits im Hotel aufgefallen sind und die offensichtlich extra für diese Vorstellung aus Deutschland angereist waren. So lief man sich also im Theater erneut über den Weg. Unter ihnen auch eine sympathische und engagierte Journalistin, die für die Kulturstiftung des Bundes in Sachen Theaterpremiere unterwegs war. Von ihr kam neben hilfreichen Erläuterungen zum Inhalt des Stückes, schließlich wurden etwa zwei Drittel in Polnisch und also für uns unverständlich dargeboten, auch der Hinweis auf die anschließende Premierenfeier. So sind wir nicht nur in der Premiere, sondern auch recht unkompliziert bei Snack und Wein auf der anschließenden Feier gelandet, wo polnische Intendanz und deutsche Theaterabordnung das Ereignis im Kreise der Schauspieler und Autoren angemessen gewürdigt haben. Das Stück selbst wirkte auf uns trotz der schweren Thematik angenehm frisch, lebendig und kurzweilig und war vor allem intelligent konzipiert. Glücklicherweise wurde kein Historiendrama oder Schlachtengemälde versucht. Im Gegenteil, dramatische Ereignisse wurden im Stück so weit aufgelöst, dass die elementaren und gestaltenden Begegnungen von Menschen sichtbar wurden. Da erinnert sich beispielsweise der alte polnische Mann aus Bromberg, der mit seinem Enkel in Deutschland weilt, in welcher Atmosphäre des Chaos und der Angst und der Feindschaft er im September 1939, schon nach Kriegsbeginn, aber noch vor Einmarsch der deutschen Truppen, in einer Art Vakuum also, mit einem deutschen Jungen am Fluss aneinander geraten ist, woraufhin nur einer von beiden das Ufer lebend verlassen konnte. Und wie er eine zweite mörderische Begegnung hat und eine junge Deutsche erschlägt. Und er erinnert sich weiter, wie er auf der Flucht von einem deutschen Mädchen und ihrer Familie vor dem Erschießungskommando bewahrt wird. Das Stück zeigt auf diese Weise, dass Menschen in Situationen, in denen sie völlig überfordert sind, so irrational handeln köönen. Und fragt damit auch, ob das immer so sein muss und ob das immer so weiter gehen muss. Das Stück weilt aber nicht nur in der Vergangenheit. Im Hier und heute gilt es ebenfalls, eine Situation zu verstehen, in der der junge Pole und sein Großvater während ihres Deutschlandaufenthaltes in irrationaler Weise in einem Konsumtempel wild mit einer Pistole herum fuchteln, friedfertige Volksmusiker bedrohen und „Polen, Polen über alles“ grölen. Eine junge Deutsche begegnet in dieser Situation als Übersetzerin zwischen den beiden Polen und deutschen Polizeibehörden dem jungen Enkel. Das ganze Stück besteht aus solchen Zweierbegegnungen und fragt unablässig nach Schuld und Ursache, ist dabei voller überraschender Wendungen und wartet mit einer poetischen und gleichnishaften Dimension auf. Und mir als Zuschauer kommt zum wiederholten Male die dunkle Ahnung, dass man den Menschen nicht in Situationen werfen darf, die ihn völlig überfordern und in denen er nur noch überbordend Angestautes und Erlittenes irrational abreagieren kann und zu einem Helden wird, den niemand wirklich braucht. Aber ein Mensch ist nicht nur Opfer und überfordert, er ist auch der Gestalter seines alltäglichen Daseins. Und in dieser Rolle muss er in jedem Augenblick darauf bedacht sein, dass sich durch sein Handeln in Anderen nichts anstaut, dass sich Andere nicht zurück gesetzt oder gar diskriminiert fühlen, dass Andere nicht ausgebeutet und drangsaliert werden. Denn, so sagt mir meine Ahnung, diese Ungerechtigkeiten, und sind sie noch so subtil, können sich unter besonderen Ausnahmebedingungen leicht zu pogromartigen Geschehnissen aufblähen und auswachsen. Was uns das Stück auf kluge und einfühlsame Weise mitteilen möchte. So jedenfalls unser Eindruck. Nach diesen ereignisreichen und erhellenden deutsch-polnischen Begegnungen konnte der Fortgang unserer Ahnenforschungen ebenfalls nur erfolgreich sein. So haben wir dank hilfsbereiter Mitarbeiter aus dem Regionalmuseum in den Drei Speicherhäusern und aus der Stadtbibliothek am Stary Rynek leicht die Straßen gefunden, in denen unsere Großeltern wohnten und ihre Kindheit und Jugend verbracht haben. Und wir sind um diese Eindrücke und um ein wunderbares Wochenende im heutigen Bromberg reicher. Ein Bromberg übrigens, das nicht mehr nur von seiner bewegten und reichen Vergangenheit zehrt, sondern inzwischen auch mehr und mehr auf seine Gegenwart verweisen kann. Bydgoszcz – Ein Wochenende im Oktober 2012
Auf den Gedanken, Bromberg – den Geburtstort unserer Großeltern – aufzusuchen, sind wir schon vor geraumer Zeit gekommen. Nun endlich, an einem Wochenende Mitte Oktober 2012, haben wir uns auf den Weg von Berlin ins polnische Bydgoszcz gemacht. Dass wir dabei, historisch betrachtet, in nicht unproblematische Gefilde aufbrechen würden, war uns natürlich klar. Man braucht nur an die drei polnischen Teilungen 1772, 1793 und 1795 zu denken, in deren Ergebnis der polnische Staat als Repräsentant des polnischen Volkes von der Landkarte verschwand. Neben Russland und Österreich war auch das deutsche Königreich Preußen maßgeblich an der Liquidierung des polnischen Staates beteiligt und sicherte sich schon 1772 durch die Einverleibung des protestantischen Westpreußens eine Landverbindung zwischen Pommern und Ostpreußen. So gelangte auch Bromberg in den deutschen Machtbereich und gehörte bis nach dem 1. Weltkrieg und dem Versailler Vertrag für ca. 150 Jahre zu Preußen. Seit der Gründung der Zweiten Polnischen Republik 1918 dann ist Bromberg wieder polnisch, nur unterbrochen für die 6 Jahre der deutschen Besatzung zur Zeit des 2. Weltkrieges. Wie die meisten Angehörigen der deutschen Bevölkerung in Westpreußen, so haben auch unsere Großeltern nach 1918 ihre Heimat Bromberg verlassen. Wenn uns dieser Umstand auch bekannt war, so hatten wir doch kaum eine Ahnung davon, welch schweres Schicksal viele Menschen damals zu tragen hatten mit dem Verlust ihrer Heimat. Die massenhaften Vertreibungen deutscher Menschen nach dem Fiasko des 2. Weltkrieges aus den deutschen Ostgebieten waren uns dagegen eher bekannt. Von einem Phänomen namens Bromberger Blutsonntag hatten wir allerdings noch so gut wie nichts gehört. So kamen wir also reichlich unbeschwert und frohen Mutes mit den Namen unserer Großeltern im Gepäck in Bydgoszcz an und quartierten uns in einem prächtigen Hotel vom Ende des 19. Jahrhunderts im Zentrum des alten Bromberg ein, im Hotel „Pod Orlem“. Im Zuge unserer Ahnenforschungen hatten wir das Glück, einem alten deutsch-polnischen Ehepaar zu begegnen, das mit ehemaligen Brombergern aus Deutschland beim Frühstück saß und sich auf eine abendliche Theaterpremiere einstimmte, die den Bromberger Blutsonntag zum Thema haben sollte. Neben wertvollen Hinweisen zur Vorgehensweise bei der Suche nach den ehemaligen Wohnorten unserer Großeltern wurde bald auch unser Interesse am deutsch-polnischen Theaterstück geweckt. Die Tatsache, dass Teile des Stückes in Deutsch abgefasst sein würden, nahm uns schnell unsere Zurückhaltung, und dass die Premiere selbstverständlich völlig ausverkauft sei, konnte uns ebenfalls nicht von einem Theaterbesuch abhalten. Eigentlich hätte man uns keine Karten verkaufen dürfen angesichts der überfüllten Probebühne des Polski Teatr. Freundlicherweise tat man es dennoch, wie man uns überhaupt sehr auffallend freundlich und hilfsbereit begegnet ist in diesen Tagen in Bydgoszcz. Im Publikum waren einige Deutsche zu finden, die uns bereits im Hotel aufgefallen sind und die offensichtlich extra für diese Vorstellung aus Deutschland angereist waren. So lief man sich also im Theater erneut über den Weg. Unter ihnen auch eine sympathische und engagierte Journalistin, die für die Kulturstiftung des Bundes in Sachen Theaterpremiere unterwegs war. Von ihr kam neben hilfreichen Erläuterungen zum Inhalt des Stückes, schließlich wurden etwa zwei Drittel in Polnisch und also für uns unverständlich dargeboten, auch der Hinweis auf die anschließende Premierenfeier. So sind wir nicht nur in der Premiere, sondern auch recht unkompliziert bei Snack und Wein auf der anschließenden Feier gelandet, wo polnische Intendanz und deutsche Theaterabordnung das Ereignis im Kreise der Schauspieler und Autoren angemessen gewürdigt haben. Das Stück selbst wirkte auf uns trotz der schweren Thematik angenehm frisch, lebendig und kurzweilig und war vor allem intelligent konzipiert. Glücklicherweise wurde kein Historiendrama oder Schlachtengemälde versucht. Im Gegenteil, dramatische Ereignisse wurden im Stück so weit aufgelöst, dass die elementaren und gestaltenden Begegnungen von Menschen sichtbar wurden. Da erinnert sich beispielsweise der alte polnische Mann aus Bromberg, der mit seinem Enkel in Deutschland weilt, in welcher Atmosphäre des Chaos und der Angst und der Feindschaft er im September 1939, schon nach Kriegsbeginn, aber noch vor Einmarsch der deutschen Truppen, in einer Art Vakuum also, mit einem deutschen Jungen am Fluss aneinander geraten ist, woraufhin nur einer von beiden das Ufer lebend verlassen konnte. Und wie er eine zweite mörderische Begegnung hat und eine junge Deutsche erschlägt. Und er erinnert sich weiter, wie er auf der Flucht von einem deutschen Mädchen und ihrer Familie vor dem Erschießungskommando bewahrt wird. Das Stück zeigt auf diese Weise, dass Menschen in Situationen, in denen sie völlig überfordert sind, so irrational handeln köönen. Und fragt damit auch, ob das immer so sein muss und ob das immer so weiter gehen muss. Das Stück weilt aber nicht nur in der Vergangenheit. Im Hier und heute gilt es ebenfalls, eine Situation zu verstehen, in der der junge Pole und sein Großvater während ihres Deutschlandaufenthaltes in irrationaler Weise in einem Konsumtempel wild mit einer Pistole herum fuchteln, friedfertige Volksmusiker bedrohen und „Polen, Polen über alles“ grölen. Eine junge Deutsche begegnet in dieser Situation als Übersetzerin zwischen den beiden Polen und deutschen Polizeibehörden dem jungen Enkel. Das ganze Stück besteht aus solchen Zweierbegegnungen und fragt unablässig nach Schuld und Ursache, ist dabei voller überraschender Wendungen und wartet mit einer poetischen und gleichnishaften Dimension auf.

Und mir als Zuschauer kommt zum wiederholten Male die dunkle Ahnung, dass man den Menschen nicht in Situationen werfen darf, die ihn völlig überfordern und in denen er nur noch überbordend Angestautes und Erlittenes irrational abreagieren kann und zu einem Helden wird, den niemand wirklich braucht. Aber ein Mensch ist nicht nur Opfer und überfordert, er ist auch der Gestalter seines alltäglichen Daseins. Und in dieser Rolle muss er in jedem Augenblick darauf bedacht sein, dass sich durch sein Handeln in Anderen nichts anstaut, dass sich Andere nicht zurück gesetzt oder gar diskriminiert fühlen, dass Andere nicht ausgebeutet und drangsaliert werden. Denn, so sagt mir meine Ahnung, diese Ungerechtigkeiten, und sind sie noch so subtil, können sich unter besonderen Ausnahmebedingungen leicht zu pogromartigen Geschehnissen aufblähen und auswachsen. Was uns das Stück auf kluge und einfühlsame Weise mitteilen möchte. So jedenfalls unser Eindruck.

Nach diesen ereignisreichen und erhellenden deutsch-polnischen Begegnungen konnte der Fortgang unserer Ahnenforschungen ebenfalls nur erfolgreich sein. So haben wir dank hilfsbereiter Mitarbeiter aus dem Regionalmuseum in den Drei Speicherhäusern und aus der Stadtbibliothek am Stary Rynek leicht die Straßen gefunden, in denen unsere Großeltern wohnten und ihre Kindheit und Jugend verbracht haben. Und wir sind um diese Eindrücke und um ein wunderbares Wochenende im heutigen Bromberg reicher. Ein Bromberg übrigens, das nicht mehr nur von seiner bewegten und reichen Vergangenheit zehrt, sondern inzwischen auch mehr und mehr auf seine Gegenwart verweisen kann.

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